Das Coronavirus brachte im Halbkanton das politische Leben aus den Fugen: Die Landsgemeinde in Appenzell wurde abgesagt und die Amtszeit der amtierenden Frau Statthalter Antonia Fässler, die per Ende April 2020 zurücktreten wollte, ging in die Verlängerung.
Am Sonntag fiel die Entscheidung um die Nachfolge an der Urne. Monika Rüegg Bless war ohne Konkurrenz. Die Grossrätin aus Appenzell wurde klar gewählt. «Es ist schade, dass das Ritual der Wahl wegfallen musste», sagt sie am Montag während der Mittagspause vor dem Rathaus in Appenzell. Von den Behördenmitgliedern wird an der Landsgemeine ein schwarzer Mantel getragen. «Als neu gewähltes Regierungsmitglied wollte ich im Blumenkleid auf den Stuhl steigen.»
Farbe wird die neue Frau Statthalter trotzdem in den Halbkanton bringen. Zum Treffen erscheint sie mit rosa E-Bike und gelbem Regenmantel. Von allen Seiten fliegen ihr Glückwünsche zu. «Ich bin überglücklich über die Wahl», sagt eine langjährige Wegbegleiterin. Es freue sie besonders, dass eine zweifache Mutter in die Regierung einziehe. Nach der späteren Bundesrätin Ruth Metzler und Antonia Fässler ist Monika Rüegg Bless erst die dritte Frau in der Innerrhoder Standeskommission.
Berufspolitikerin
Vor zehn Jahren leisteten die Mitglieder der Standeskommission durchschnittlich ein Pensum von 60 Prozent. Inzwischen sind die Anforderungen erheblich gestiegen. Für die Berufspolitikerin Antonia Fässler hatte neben dem Amt keine berufliche Tätigkeit mehr Platz.
Sich ganz auf das Amt konzentrieren und ihre Tätigkeiten nach über 28 Jahren am Kantonsspital St. Gallen aufgeben will auch Monika Rüegg Bless. Sie war Leiterin Pflege der Klinik für Urologie und der chirurgischen Tagesstation. Zudem hatte sie den Freiwilligendienst unter sich und war stellvertretende Leiterin des Ethikforums des Kantonsspitals. Ihr letzter Arbeitstag war am vergangenen Freitag. «Meine Vorgesetzten hatten mein Kündigungsschreiben heute Morgen auf dem Tisch.» Auf eine Abschiedsfeier musste coronabedingt verzichtet werden.
Authentisch und zeitkritisch
Monika Rüegg Bless wuchs im Toggenburg auf. Die Mutter war Gemeinderätin und Bäuerin. Zuhause sei viel politisiert worden und es habe keine klare Rollenverteilung gegeben. «Das hat sich wie ein roter Faden durch mein Leben gezogen», sagt sie.
Kaum ein Jahr nachdem sie 2003 mit ihrer Familie nach Appenzell zog, engagierte sie sich als Präsidentin des Frauenforums. 2012 wurde sie in den Grossen Rat gewählt. «Ich mag es, vor Leute hinzustehen und zu vernetzen», so Rüegg Bless. Ein ehemaliger Lehrer habe sie als authentische und zeitkritische Schülerin beschrieben.
Einen Wahlkampf hatte es ohne Gegenkandidaten nicht gegeben, trotzdem stellte sich die 49-Jährige bei diversen Hearings und Veranstaltungen vor. «In Oberegg wurde ich gefragt, wo die anderen Kandidaten sind», erzählt sie lachend.
Regierungsrätin werden sei wie ein Kind zu bekommen. «Ich muss zuerst in die Rolle hineinwachsen.» Sie werde mit ihren rund 30 Mitarbeitenden eine Kultur der offenen Türe pflegen und jeden Tag im Büro präsent sein, sagt Rüegg Bless, die im Parlament der Interessenvertretung der Arbeitnehmenden angehörte.
Spitalneubau im Fokus
Das Spital Appenzell dominiert die politische Agenda. Die Landsgemeinde hiess im April 2018 einen Kredit von 41 Millionen Franken für einen Spitalneubau gut. Monika Rüegg Bless engagierte sich damals noch gegen die Vorlage. An einem Spital sei die Qualität wichtig und dafür müssten Fachkräfte gefunden werden, betont die neue Gesundheitschefin.
Die Gegner hatten argumentiert, Innerrhoden mit rund 16'000 Einwohnerinnen und Einwohnern sei schlicht zu klein für ein eigenes Spital. Das Projekt sei überdimensioniert und auf Dauer zu teuer. Geplant sind eine Bettenstation mit 13 Patientenzimmern, zwei Operationssäle, eine hausärztliche Gemeinschaftspraxis sowie ein interdisziplinäres Ambulatorium.
Die Corona-Pandemie wirkte sich auch auf die Fallzahlen am Spital Appenzell aus. Vom 16. März bis 26. April war der Operationsbetrieb eingestellt. Die Fallzahlen im stationären Bereich lagen im März und April 40 Prozent tiefer als im Vorjahr. Im ambulanten Bereich gab es einen Einbruch um 33 Prozent.
Bis Ende Jahr muss die Regierung, die am Neubauprojekt festhalten will, dem Parlament wieder über die Entwicklung am Spital Appenzell Bericht erstatten. Wichtig sei, den Vertrag mit dem Ausserrhoder Spitalverbund mittelfristig zu sichern, sagt die ehemalige Rettungssanitäterin und braust zum Termin mit ihrer Vorgängerin.