Ostschweiz
Appenzellerland

Weshalb ein Ausserrhoder und Ex-HSGler in einem buddhistischen Kloster lebt

Sebastian Marti

Weshalb ein Ex-HSGler jetzt im buddhistischen Kloster lebt

· Online seit 02.01.2024, 05:46 Uhr
Sebastian Marti hat an der HSG Volkswirtschaft studiert. Heute lebt der 27-jährige Ostschweizer im buddhistischen Kloster Rabten Choeling oberhalb des Genfersees. Weshalb das kein Widerspruch ist und was ihn zu dieser Entscheidung bewogen hat, erklärt er im Interview.
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Andere in seinem Alter reisen um die Welt, starten beruflich richtig durch oder gründen eine Familie. Doch der 27-jährige Sebastian Marti aus Walzenhausen hat sich für ein anderes Abenteuer in diesem Lebensabschnitt entschieden: Mittlerweile lebt er seit mehr als einem Jahr in Le Mont-Pèlerin nahe Vevey oberhalb des Genfersees – im tibetisch-buddhistischen Kloster Rabten Choeling (sprich: Rabten Tschöling). Weshalb der Ex-HSGler sich mit seinem Klosterleben einen lange gehegten Traum erfüllt, wie sein Alltag aussieht und warum die an der St.Galler Elite-Universität vermittelten Wirtschaftswissenschaften keineswegs ein Widerspruch zur buddhistischen Lehre sind, erzählt er im Interview.

Sebastian, du lebst seit eineinhalb Jahren in einem buddhistischen Kloster. Wie kommt das?

Ich kenne das Kloster schon länger, seit ich elf Jahre alt bin. Mein Bruder und ich sind damals in einem Kinder-Ferienlager nach Rabten Choeling gekommen – ich fand diesen Ort schon früh sehr interessant und faszinierend. Als ich 19 Jahre alt war, habe ich für mich entschieden, dass ich irgendwann für längere Zeit hierherkommen möchte. Nachdem ich meinen Bachelor von der HSG in der Tasche hatte, habe ich die Chance ergriffen – wenn nicht jetzt, wann dann?

Du erwähnst dein Studium an der HSG. Auf den ersten Blick passen die Klischees, die man von der St.Galler Elite-Uni kennt, nicht unbedingt mit jenen über den Buddhismus zusammen. Wie passt das für dich zueinander?

Ich muss hier für den Unterricht an der HSG eine Lanze brechen. Der Unterricht und die Modelle, die dort gelehrt werden, sind sehr sachlich und objektiv. Auch deren Annahmen und Grenzen werden stets aufgezeigt. Ich habe das Gefühl, dass die Klischees über die HSG mehr von der Studentenschaft herrühren. Es ist natürlich schon so, dass Businessschulen eher Leute anziehen, die ihr Lebensglück in Materiellem sehen, weil man durch einen Abschluss Chancen auf eine gut entlöhnte Anstellung im Arbeitsmarkt hat und einen hohen sozialen Status erlangen kann. Und wenn da von knapp 10'000 Studierenden auch nur eine kleine Mehrheit so denkt, entstehen schnell gewisse Stereotypen. Aber das ist natürlich überhaupt nicht verallgemeinernd auf alle Studierenden anwendbar. Ich könnte deshalb überhaupt nicht sagen, dass das an der HSG vermittelte Menschenbild einzig dem des egoistischen, destruktiven Nutzenmaximierers entspricht. Es ist deutlich vielfältiger. Und um die Frage noch abschliessend zu beantworten: Ich denke nicht, dass HSG und Buddhismus ein Widerspruch ist – gerade in meinem Gebiet, der Volkswirtschaftslehre, ist sogar eher das Gegenteil der Fall: Beides basiert auf rational-logischen Überlegungen.

Wie wird denn aus einem jungen Mann, aufgewachsen in einem Dorf in Appenzell Ausserrhoden, ein überzeugter Buddhist?

Wir besuchten die Ferienlager nach dem ersten Mal jedes Jahr. Aber nicht wegen der Religion, sondern schlicht, weil es uns Spass gemacht hat. Ich bin überhaupt nicht religiös erzogen worden, weder buddhistisch noch christlich. Mit ca. 15 Jahren habe ich dann aber angefangen, mich im Lager auch mehr für die buddhistischen Inhalte zu interessieren und nicht mehr nur für die Spiele. Und was für mich dann prägend war, war, dass es auf Fragen zu Glaubenssätzen und so weiter immer sehr aufschlussreiche, kohärente Antworten gab, die für mich Sinn ergaben. Das ist etwas, was ich bei anderen Religionen nie hatte oder es gar als umgekehrt erlebte: Je mehr ich hinterfragte, desto widersprüchlicher und unlogischer wirkte es auf mich. Das erlebte ich im Buddhismus ganz anders: Je mehr ich mich damit befasste, desto kohärenter und sinnvoller empfand ich die Philosophie. Und ich hatte das erste Mal den Gedanken: Ja, so könnte es tatsächlich sein.

Wie muss man sich das nun vorstellen – bist du nun ein buddhistischer Mönch, der ein oranges Gewand trägt und den ganzen Tag meditiert?

Also ein ordinierter Mönch bin ich nicht, nein. Das Kloster hier ist auch ein Studienzentrum und ich bin hier als Student, um die buddhistischen Lehren zu vertiefen. Aber natürlich leben auch ordinierte Mönche und Nonnen hier.

Was sind das für Leute, mit denen du im Kloster zusammenlebst?

Die Menschen hier sind sehr divers, sowohl kulturell als auch demografisch. Altersmässig gibt es entsprechend eine grosse Bandbreite. Eine grössere Gruppe sind Exil-Tibeter, die wegen der Unterdrückung durch China hierher geflüchtet sind. Viele sind schon etwas älter und häufig sind diese auch ordinierte, ehrwürdige Mönche und Nonnen. In der jüngeren Vergangenheit sind aber auch viele jüngere Menschen nach Rabten Choeling gekommen. Im Moment sind es etwa zehn Personen, die um die 30 Jahre alt sind, die meisten davon westlicher Herkunft. Ich denke, es gibt eine sehr gesunde Durchmischung mittlerweile. Und die Multikulturalität ist sehr spannend, man hört die unterschiedlichsten Sprachen hier im Kloster, wie Deutsch, Französisch, Tibetisch und natürlich Englisch zur gemeinsamen Verständigung.

Du sprichst Nonnen an – in der Gemeinschaft leben also im Gegensatz zu den meisten christlichen Klöstern Männer und Frauen zusammen?

Genau, die Gemeinschaft ist gemischtgeschlechtlich, sowohl bei den Ordinierten als auch den Nicht-Ordinierten.

Wie sieht ein gewöhnlicher Tag im Kloster aus, was machst du da?

Es gibt verschiedene Aktivitäten und Aufgaben. Morgens und abends gibt es jeweils einstündige Gebetssitzungen. Dabei werden immer wieder die gleichen buddhistischen Texte rezitiert, über welche man in der Folge nachdenkt und meditiert. Dann gibt es spezielle Gebetseinheiten, sogenannte «Pujas», in der Regel ein bis zweimal wöchentlich. Diese können mehrere Stunden oder sogar den ganzen Tag dauern. Und dann gibt es noch die Unterrichts- und Studienzeiten, wo buddhistische Schriften vertieft und Debatten geführt werden sowie Tibetisch-Lektionen.

Zu den Gebeten, Zeremonien und Studien kommt das ganze Community-Leben hinzu. Hier leben ungefähr 40 bis 50 Menschen, es gibt auch immer Gäste, die für kurze Zeit da sind. Alle zusammen stellen sicher, dass der Betrieb läuft und erledigen ihre jeweiligen Aufgaben.

Also beispielsweise Dinge wie Küchendienst oder Gartenarbeit?

Ja, beim Küchendienst wechseln wir uns ab. Es gibt verschiedene Gruppen, welche jeweils für die Verpflegung zuständig sind. In der Regel ist man ein Tag pro Woche für den Küchendienst eingeteilt. Dann gibt es weitere individuelle Ämtli, zumeist irgendwelche Reinigungsaufgaben oder auch Gartenarbeiten, je nach Fähigkeiten der Leute, die hier sind. Meine Aufgabe ist aktuell die Reinigung der Böden in den Gemeinschaftsräumen.

Wie sieht es mit Freizeit aus? Kannst du da machen, was du willst, oder gibt es da Einschränkungen – beispielsweise wenn du mal in der Stadt etwas trinken gehen möchtest?

Das ist sehr unkompliziert. Es ist hier nicht irgendwie eine geschlossene Einrichtung, wo du einmal in der Woche rausdarfst. Man kann alles machen, was man im «normalen» Leben auch tun könnte und seinen Interessen nachgehen. Wir gehen beispielweise regelmässig ins Restaurant, ins Kino oder wandern und es findet sich in der Gemeinschaft eigentlich immer jemand, der dabei ist, wenn du was machen möchtest. Viele treiben auch Sport und gehen beispielsweise Joggen oder Basketball spielen – das ist vielen ein Bedürfnis, weil man während der Sitzungen häufig sitzt und es kopflastig ist.

veröffentlicht: 2. Januar 2024 05:46
aktualisiert: 2. Januar 2024 05:46
Quelle: FM1Today

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