Wer sich das Christkind bisher als hübsches, engelähnliches Wesen vorgestellt hat, mit blond gelocktem Haar und weissem Kleid, der sollte – sofern er sich dieses Bild bewahren möchte – an dieser Stelle aufhören zu lesen. Denn in Wirklichkeit trägt das Christkind dunkle Jeans, ein kariertes Hemd und Pantoffeln, wohnt in der ehemaligen Post in Wienacht-Tobel und heisst Willi Würzer.
Seit 30 Jahren beantwortet der pensionierte Posthalter in der Adventszeit Kinderbriefe, die ans Christkind adressiert sind. In diesen Wochen holt der 78-Jährige täglich einen Stapel Weihnachtspost aus seinem Briefkasten – fast immer mit der Adresse «An das Christkind, 9405 Wienacht». Obwohl die Poststelle im kleinen Ausserrhoder Dorf vor 15 Jahren geschlossen wurde, beantwortet Willi Würzer die Wunschzettel bis heute, weil er die kleinen Schreiber nicht enttäuschen will. «Ich kann den Kindern zwar nicht ihre Wünsche erfüllen, aber immerhin kann ich dazu beitragen, dass sie noch eine Weile an etwas Wundervolles wie das Christkind glauben können», sagt Willi Würzer.
200 bunt verzierte Wunschzettel
Dieses Jahr haben bereits über 100 Wunschzettel den Weg in Willi Würzers Briefkasten gefunden, bis Weihnachten dürften es rund 200 werden. Wie jedes Jahr sind viele von ihnen hübsch verziert – mit kleinen Sternen, Glitzer und weihnachtlichen Stickern. Und obwohl heute viele Kinder Zugang zu einem Computer haben, sind fast alle Wunschzettel von Hand geschrieben worden. «Die meisten Kinder kleben zudem ausgeschnittene Bilder aus Spielzeugkatalogen auf und schreiben Erläuterungen dazu, damit ihnen das Christchind sicher das Richtige unter den Baum legt. Manchmal dauert es jedoch eine Weile, bis ich die Wünsche entziffert habe», erzählt Willi Würzer.
Willi Würzer sitzt in seinem gemütlichen Wohnzimmer und liest die Wunschzettel, die er aus dem Briefkasten geholt hatte. Immer wieder zaubern sie ein Schmunzeln auf seine Lippen. Beinahe alle Kinder haben zu ihren Wünschen etwas gezeichnet. Der fünfjährige Simon wünscht sich ein Piratenschiff mit Fernsteuerung und hat dazu ein Bild gemalt, das den Weihnachtsmann zeigt, wie er auf einem Delfin reitend vor einem Piratenschiff flüchtet.
Ein iPad und weisse Weihnachten
Während sich die Wunschzettel in den vergangenen Jahrzehnten optisch kaum verändert haben, hat sich ihr Inhalt dem Lauf der Zeit angepasst. «Früher wünschten sich die Kinder einfache Spielsachen aus Holz oder irgendwelche Spiele, heute ist beinahe alles elektronisch», erklärt Willi Würzer. Er liest vor: «Liebes Christchind, ich wünsche mir ein iPad, eine Playstation mit Spielen, ein Plüsch-Meerschwein und, dass es an Weihnachten schneit und wir Fondue Chinoise essen.»
Manche Kinder stellen dem Christchind eine höfliche Frage, bevor sie ihre Wünsche auflisten. Sie fragen das Christchind, wie es ihm geht und, ob es schon Guetzli gegessen hat. Andere sind neugierig und wollen vom Christkind wissen, wo es wohnt und wie seine Telefonnummer lautet. Und manche haben nicht einmal einen Wunsch, sondern wollen sich mit ihrem Brief ans Christkind nur vergewissern, dass es an Weihnachten auch wirklich zu ihnen kommen wird. «Manche Kinder erzählen dem Christchind auch von ihren Sorgen. Sie schreiben, dass sie sich zu Weihnachten nur wünschen, dass ihre Mutter oder ihr Vater wieder gesund wird. Solche Wünsche gehen mir nahe», erzählt Willi Würzer.
Post vom Christkind
Jedes Kind, das einen Absender auf seinen Wunschzettel schreibt, erhält eine Antwort vom Christkind. Willi Würzer schickt jedem Kind eine bebilderte Weihnachtsgeschichte zu, die ein befreundeter Pfarrer jedes Jahr verfasst. «Damit die Kinder aber nicht nur eine ausgedruckte Geschichte erhalten, schreibe ich von Hand auf jede Geschichte einen Weihnachtsgruss vom Christchind», erzählt der ehemalige Posthalter von Wienacht-Tobel. Willi Würzer gesteht jedoch, dass er bei den modernen englischen Kindernamen von heute, manchmal nicht mit Sicherheit wisse, ob es sich um einen Buben oder ein Mädchen handle.
Viele tausend Weihnachtsbriefe hat Willi Würzer im Namen des Christkinds bereits beantwortet. Sie alle stapeln sich nach Jahren sortiert in seinem Büro. Die meisten der archivierten Briefe erreichten ihn von Kindern aus der Schweiz oder dem nahen Ausland. In den vergangenen Jahren habe er aber auch immer mehr Post aus Übersee erhalten. Inzwischen erhalte er Briefe mit Wünschen aus China, Japan oder Taiwan.
Bis Weihnachten hat Willi Würzer also alle Hände voll zu tun und auch im neuen Jahr wird der 78-Jährige seinen Couvert-Öffner noch oft brauchen. Denn dann flattern die Dankesbriefe der glücklichen Kinder in seinen Briefkasten, die an Weihnachten das richtige Geschenk unterm Christbaum gefunden haben.