Ostschweiz

Forderung nach Zusatzprüfung für PS-Boliden: «Erzielter Effekt ist fraglich»

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Forderung nach Zusatzprüfung für PS-Boliden: «Erzielter Effekt ist fraglich»

23.11.2023, 12:59 Uhr
· Online seit 23.11.2023, 11:46 Uhr
Wer PS-starke Autos fahren will, soll eine zusätzliche Prüfung und Fahrstunden absolvieren müssen. So lautet der Vorschlag einer Aargauer Nationalrätin. Allerdings sind nicht alle mit diesem Vorstoss zufrieden.
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Die Aargauer SP-Nationalraätin Gabriela Suter machte schweizweit mit einem brisanten Vorstoss auf sich aufmerksam. Sie wollte eine PS-Beschränkung für Neulenker einführen. Der Vorschlag scheiterte aber in Bundes-Bern. Nun will sie mit einem neuen Vorschlag die Strassen sicherer machen. Ihr schwebt vor, dass für PS-starke Autos eine Zusatzprüfung mit zusätzlichen Fahrstunden absolviert werden muss. Den Vorstoss will sie bald im Nationalrat einreichen, wie sie gegenüber Tele M1 sagt.

Quelle: Tele M1

Dass Autos mit viel Hubraum nicht ganz einfach zu kontrollieren sind, dürfte kein Geheimnis sein. Des öfteren hört man in den Medien von Unfällen mit starkmotorisierten Fahrzeugen. Beispielsweise setzte im Kanton Graubünden ein Tourist einen Lamborghini neben die Strasse. Der Schein trügt aber, wie die Kantonspolizei St.Gallen auf Anfrage mitteilt.

PS-Boliden sind nicht Hauptunfall-Verursacher

Wird nämlich die Gesamtanzahl der Unfälle betrachtet, gibt es laut Florian Schneider, Mediensprecher der Kantonspolizei St.Gallen, keine Auffälligkeiten bezüglich PS-starker Boliden. Anders sieht es bei Unfällen mit überhöhter Geschwindigkeit aus. Dort seien öfters solche Fahrzeuge involviert.

Am häufigsten hat die Kantonspolizei aber in einem anderen Zusammenhang mit den Boliden zu tun: namentlich bei Poser-Delikten. Dazu zählen beispielsweise das unnötige Herumfahren oder übermässiger Lärm. Dort seien die PS-Protze ganz vorne mit dabei.

BFU zwiegespalten

Die PS-Boliden sind also nicht die Hauptunfallverursacher. Dem pflichtet auch Christoph Leibundgut, Mediensprecher der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU), bei. Den Aargauer Vorschlag nimmt das BFU mit gemischten Gefühlen auf, sagt Leibundgut: «Es ist fraglich, ob diese zusätzliche Prüfung den gewünschten Effekt erzielt.» Grundsätzlich begrüsse die BFU es, dass es eine zusätzliche Hürde gibt, weil so die Fahrerinnen und Fahrer etwas mehr leisten müssen, um so einen Boliden zu steuern. Leibundgut schiebt aber nach: «Andererseits kann es auch sein, dass diese Zusatzstunden eine falsche Sicherheit vermitteln könnten. Die Zusatzprüfung und -stunden müssten schon sehr gezielt aufgebaut sein.»

Laut Leibundgut habe sicheres Fahren auch mit Routine zu tun. Die Zahlen der BFU belegen, dass vor allem jüngere Lenkende in Unfälle verwickelt sind. Dies, weil sie zum einen risikobereiter sind, und zum anderen eben die Erfahrung fehlt. Dem Mediensprecher ist klar, dass auch mit weniger PS schnell gefahren werden kann, aber er hält auch fest, dass PS-starke Autos halt schneller auf Tempo kommen.

Leibundgut betont ausdrücklich, dass eine defensive und vorausschauende Fahrweise viele Unfälle verhindern könnte – egal ob PS-Bolide oder Velo. «Fährt man defensiv, schütz man sich selbst und andere, weil man mehr Zeit zum Agieren und im Bedarfsfall richtig Reagieren hat», erklärt Leibundgut. Und selbst wenn es zum Crash kommt, hilft die längere Reaktionszeit, früher zu bremsen und so die Aufprallwucht zu verringern.

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Vorschlag für ACS «zu komplex»

Auf wenig Begeisterung stösst der Aargauer Vorschlag beim Automobil Club Schweiz (ACS). Dieser lehnt den Vorschlag dezidiert ab. Dafür gebe es mehrere Gründe, wie der ACS schriftlich mitteilt. Eine Einführung sei mit administrativer Komplexität verbunden, was den Führerschein teurer machen würde. Zum andere sei die Kontrolle ebenfalls nicht einfach und würde ebenfalls zusätzliche Kosten verursachen.

Für den ACS ist auch klar, das PS heutzutage nicht gleich Leistung bedeutet. Als konkretes Beispiel nennt der ACS die Elektromobilität. Ein kleines Elektroauto könne beispielsweise, je nach Modell, mit weniger PS schneller auf 80 Stundenkilometer beschleunigen als ein PS-starker Verbrenner. Zudem sei die potenzielle Unfallgefahr nicht von der Leistungsstärke des Motors abhängig.

Der ACS appelliert an die Fahrweise der Autolenkenden. Eine defensive Fahrweise helfe, Unfälle zu verhindern. Der ACS will bei der Ausbildung ansetzen. Die Fahrlehrer und Fahrlehrerinnen seien Experten und müssen die Sensibilisierung weiter fortsetzen, indem sie die jungen Autofahrerinnen und Autofahrer auf die Herausforderungen wie Leistung, Antriebstechnologie, Fahrassistenten oder ähnliches aufmerksam machen.

Auch Fahrlehrerin hat Zweifel

Doch wie kommt das Ganze bei jenen an, die das nachher umsetzen müssten: den Fahrlehrern? Jolanda Brülisauer, selber Fahrlehrerin und Inhaberin der St.Galler Fahrschule Bestdrive, ist vom Vorschlag nicht überzeugt. Zwar findet sie es grundsätzlich nicht verkehrt, dass hier nochmals über die Bücher gegangen wird, der Weg sei für sie aber der falsche.

Auch sie ist der Ansicht, dass bei der bestehenden Ausbildung angesetzt wird. «Ich finde, es müsste in die normalen Fahrstunden integriert werden», erklärt Brülisauer. Hier könnte eine obligatorische Lektion zu PS-starken Autos eingeführt werden oder man schärft das Gefahrenbewusstsein der Fahrschülerinnen und -schülern noch besser", sagt sie. Auch im obligatorischen Verkehrskunde-Unterricht hätte es noch Potenzial.

Sie zweifelt auch an der Umsetzbarkeit. Zwar ist der Wortlaut des Vorstosses noch nicht genau bekannt, aber falls dies auch für die Älteren gelten würde, glaubt Brülisauer nicht, dass dafür eine Mehrheit gefunden werden kann. Zum anderen kommt dann auch das Pragmatische hinzu. Um Leute auf PS-starken Fahrzeugen zu schulen, braucht man logischerweise ein solches Auto. Doch nur die wenigsten Fahrschul-Autos sind PS-Monster.

veröffentlicht: 23. November 2023 11:46
aktualisiert: 23. November 2023 12:59
Quelle: FM1Today

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