Ostschweiz

«Happy Button»: Gefahrenlos oder risikoreich?

«Happy Button»: Gefahrenlos oder risikoreich?

31.07.2017, 13:32 Uhr
· Online seit 31.07.2017, 06:11 Uhr
Es klingt wunderbar: Der «Happy Button», für den gewisse Spitäler in der Schweiz werben, ermöglicht werdenden Müttern während der Wehen, per Knopfdruck den Schmerz selbst zu lindern. Offiziell ist das Mittel, welches zu den Opiaten gehört, bei Geburten jedoch nicht zugelassen.
Stefanie Rohner
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Das Mittel, welches durch den «Happy Button» per Infusion durch die Adern fliesst, heisst Remifentanil. Es gehört zu den Opiaten und somit zur gleichen Stoffgruppe wie Morphium und Heroin. Unter dem Namen Ultiva wird das Medikament vertrieben, schreibt das Newsportal Watson.

Das Medikament kann bei Geburten eingesetzt werden, auch wenn das Medikament nicht offiziell dafür zugelassen ist. Man spricht dann von einem «off-label-use». Das heisst, die Verantwortung liegt dann beim behandelnden Arzt und nicht beim Pharmakonzern.

Sucht man nach dem Begriff Ultiva, stösst man schnell auf die Information, dass dieses Mittel zur Einleitung und Aufrechterhaltung der Narkose während chirurgischen Eingriffen und unter enger Überwachung als Fortsetzung der Analgesie (Ausschalten von Schmerzen) nach der Operation eingesetzt wird.

Sicherheit nicht bewiesen

In der selben Beschreibung auf Compendium, einer Plattform von Informationen für Fachpersonen, wird auch der Einsatz während der Schwangerschaft thematisiert (Publiziert am 30. Juni 2017). In Studien mit Tieren seien unerwünschte Effekte auf den Fötus aufgetreten. Es würden keine kontrollierten Studien mit schwangeren Frauen vorliegen.

So sei das potenzielle Risiko für Menschen nicht bekannt. Ultiva solle nicht verabreicht werden, es sei denn, es sei eindeutig erforderlich. Die Sicherheit von Remifentanil während der Wehen und der Geburt sei nicht bewiesen. Es könne beim Kind zudem zu Atemdepressionen kommen.

Jedes Opiat in höherer Dosierung bremst die Atmung. Ultiva wirkt innert Sekunden, die Dauer der Wirkung ist aber auch schnell wieder weg. Die Überwachung der werdenden Mutter übernehmen die Hebammen und Geburtshelfer. Eine engere Überwachung besteht am Anfang, Blutdruck und Puls müssen genau beobachtet werden.

Eigene Verantwortung

Die ehemalige St.Galler Kantonsrätin und Präsidentin der Stiftung SPO Patientenschutz, Margrit Kessler, steht Remifentanil kritisch gegenüber. «Das grosse Problem für mich ist, dass das Medikament Ultiva bei Geburten nicht zugelassen ist. Es kann zu Atemdämpfungen bei Mutter und Kind kommen. Klar ist es schön, wenn man während der Geburt weniger Schmerzen hat, aber man sollte dabei auch ans Kind denken», äussert sich Kessler gegenüber FM1Today.

Dies sei aber ihre persönliche Meinung und jede Frau müsse für sich selber entscheiden. «Mir gibt zu denken, dass das Medikament von Swissmedic nicht für Geburten zugelassen wurde. Für mich steht Remifentanil deshalb ein grosses Fragezeichen dar», sagt Kessler.

Dass das Mittel von Swissmedic nicht für Geburten zugelassen wurde, liegt daran, dass der südafrikanische Pharmakonzern Aspen, der das Medikament in der Schweiz vertreibt, die Zulassung für den Geburtenbereich nicht beantragt hat.

Kessler sagt, solange es keine Langzeitstudien geben gebe, würde sie werdenden Müttern von der Verwendung von Ultiva abraten. Man habe nicht nur für sich, sondern auch für das Kind eine Verantwortung.

Es sei aber auch schwierig, Medikamente für Schwangere zuzulassen, da die Medikamente an ihnen nicht wirklich getestet werden könnten. Ausserdem sei die Erstellung einer Studie, die es für die Zulassung brauche, sehr kostspielig.

In St.Gallen keine Schmerzregulation per Knopfdruck

Im Kantonsspital St.Gallen wird Ultiva nicht angeboten. «Im Kantonsspital St.Gallen haben wir keinen ‹Happy Button›. Bezüglich einer individuellen Schmerzkontrolle besteht die Möglichkeit einer PDA (Peridural- oder Epiduralanästhesie), wobei einzelne Bolusgaben durch die Patientinnen gesteuert werden können», sagt Daniel Steimer, Leiter Unternehmenskommunikation des Kantonsspitals St.Gallen.

Zusätzlich gebe es die Möglichkeit der Anwendung von Lachgas, das ebenso individuell dosiert werden könne. All diese Möglichkeiten der Schmerzbekämpfung seien erprobt und würden zu einem bestmöglichen Geburtserlebnis beitragen. «Wichtig ist, die Analgesie möglichst individuell und speziell auf die Patientin abzustimmen», sagt Steimer.

Keine Überdosierung möglich

Im Spital Wil gibt es das Angebot des «Happy Buttons» seit mehreren Jahren. Unter den Ärzten spricht man jedoch von der PCA (patient-controlled analgesia). In etwa fünf Prozent der Geburten wird die Remifentanil-PCA eingesetzt.

Pro Jahr werden rund 750 Kinder im Spital Wil geboren. «Die Nachfrage bei uns ist gleichbleibend bis sinkend», sagt Frank Liedke, Chefarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe. Er sagt, Lachgas sei bei Geburten sehr gefragt, die Remifentalin-PCA werde seltener verlangt.

Dass es Kritik am Happy Button gibt, kann Liedke nicht so ganz nachvollziehen. «Klar ist jedes Medikament kritisch zu betrachten. Aber wir haben sehr gute Erfahrungen mit der PCA-Pumpe», sagt Liedke.

Die Patientin könne die Schmerzpumpe zwar immer drücken, aber es gebe eine Sperre. Habe sie gedrückt, sei eine nächste Dosis erst zwei bis vier Minuten später wieder möglich. «So ist eine Überdosierung unmöglich», so Liedke. Es habe noch nie grössere Komplikationen in Verbindung mit der Remifentalil-PCA gegeben.

Die Nebenwirkungen von Ultiva sind Juckreiz, Übelkeit und Erbrechen. Atemprobleme können ebenfalls auftreten. Viele Patientinnen sprechen auch von einem Flash und Beduseltsein. «Einige finden das positiv, andere hingegen gar nicht», weiss Liedke.

Bei jeder zweiten Geburt

Das Salem-Spital in Bern war 2008 eines der ersten Schweizer Spitäler, welches eine Schmerzmittelabgabe via Knopfdruck angeboten hat. Im Spital Zollikerberg im Kanton Zürich wird der «Happy Button» seit Ende 2011 eingesetzt.

«Die Nachfrage war von Beginn an sehr hoch, heute wird die PCA in der Frauenklinik des Spitals Zollikerberg bei jeder zweiten vaginalen Geburt genutzt», sagt Eduard Vlajkovic, Chefarzt und Leiter der Frauenklinik.

Er sagt, in den ganzen Jahren habe es wegen Ultiva keine gröberen Komplikationen gegeben. Natürlich könne es bei Geburten schon zu Komplikationen kommen, diese seien aber nicht explizit auf Ultiva zurückzuführen.

«Das muss dann jeweils genau geprüft werden. Bisher haben wir aber nur gute Erfahrungen gemacht», sagt Vlajkovic. Mütter würden darauf hingewiesen, dass es sich um einen «off-label-use» handle.

«Die Remifentanil-PCA kann nur bis 15 Minuten vor der Geburt genutzt werden, dies dient als Sicherheitsmassnahme. Da das Kind, solange es noch an der Nabelschnur ist, nicht atmet, sondern am Kreislauf der Mutter angeschlossen ist, kann die Wirkung von Ultiva nicht auf das Kind übergehen», sagt Vlajkovic.

Sei es abgenabelt und beginne zu atmen, sollte kein Remifentanil mehr im Körper des Kindes sein. «Wir wollen nicht, das die Atmung des Kindes eingeschränkt wird», sagt der Chefarzt.

Probleme mit der Sauerstoffversorgung

Schweizer Anästhesisten haben aufgrund fehlender Studien das Netzwerk RemiPCA SAFE gegründet. Dort können Spitäler ihre Daten zu Geburten dieser Art eintragen. In der Statistik zeigt sich, dass diese Methode immer beliebter wird.

2009 gab es erst 34 erfasste Anwendungen, in den vergangenen Jahren ist die Zahl auf zirka 1300 angestiegen. Bei einem Viertel der erfassten Geburten seien Probleme mit der Sauerstoffversorgung aufgetreten. Ob dies aufgrund allergischer Reaktionen oder aus anderen Gründen geschah, wird nicht beschrieben.

Die südafrikanische Pharmafirma Aspen vertreibt Ultiva in der Schweiz. Die Rechte am Medikament hat die Firma vom Konzern GSK übernommen. Ob Aspen eine Zulassung von Ultiva im Geburtenbereich anstrebt, ist unklar.

veröffentlicht: 31. Juli 2017 06:11
aktualisiert: 31. Juli 2017 13:32
Quelle: str

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