Das Smartphone in seiner Tasche vibriert unaufhörlich. Der Blick wandert immer wieder in den Hintergrund. Dorthin, wo sich die grauen Kisten mit den milchig weissen Plastikbechern stapeln. Er wirkt leicht angespannt. Sein Körper in Kampfbereitschaft, die wachen, hellen Augen aber strahlen Ruhe aus. Ernst Brunner ist 40 Jahre alt und führt das Geschäft Cup & More mit den Mehrwegbechern in Niederwil.
Verkehrsknotenpunkt Niederwil
«Ich werde bei Lieferungen oft gefragt, wo der Chef sei. Viele Leute denken nicht, dass ich dieses Unternehmen leite», sagt Ernst Brunner mit einem spitzbübischen Lächeln. Der Cheftyp mit Krawatte und Anzug sei er nicht. Er wirkt tatsächlich mit seinem schwarzen, bedruckten T-Shirt und den Shorts wie ein gewöhnlicher Arbeiter und nicht wie der Mann, der mit seiner Firma beinahe jedes Fest in der Schweiz beliefert, das auf Mehrwegbecher setzt. Mitanpacken, das kann Ernst Brunner. Vergangene Nacht habe er gerade einmal eineinhalb Stunden geschlafen: «Ich war noch im Wallis am Openair Gampel», erklärt er. Ein weiterer Kunde von Cup & More.
Hier der TVO-Bericht:
Quelle: TVO
Abgesehen vom leichten Zittern und ganz feinen Ringen unter den Augen ist Ernst Brunner der Schlafmangel aber nicht anzusehen und obwohl seine Arbeit ein ziemlicher Krampf sein muss, spricht er mit Stolz von dem, was er vor zehn Jahren erschaffen hat. «Niederwil ist mittlerweile der Verkehrsknotenpunkt der Mehrwegbecher. Wir liefern von hier aus saubere Becher an die Anlässe, nehmen dreckige Becher zurück, waschen sie, kontrollieren und zählen sie, sie werden hier gelagert und erneut geliefert.» Ein Kreislauf der mittlerweile sehr gut funktioniert.
Das grosse Geheimnis
Das war aber nicht immer so: «Wenn ich gewusst hätte, was alles auf mich zukommt, hätte ich niemals mit den Mehrwegbechern angefangen.» Ernst Brunners Hände umklammern einen Becher, als würde dieser die Schuld an vielem tragen, was im Unternehmen schief gelaufen ist. Probleme verursacht habe vor allem das Abwaschen. Es sei sehr schwierig gewesen, die richtige Seifenmischung, die richtige Trocknungsmethode und Lagerung für die Becher zu finden. «Wir haben sehr lange an der optimalen Lösung herumgetüftelt. Jetzt können wir sagen, dass wir das nötige Know-How haben.»
Wie die einzelnen Becher abgewaschen werden, möchte Ernst Brunner nicht verraten: «Es ist wie bei Ricola oder dem Appenzeller Käse ein Geheimnis.» Ein Augenschein vor Ort zeigt aber, dass die Becher wirklich gründlich von allen Getränkerückständen gereinigt werden. «Die Becher werden mehrfach einzeln kontrolliert. In einem ersten Schritt werden alle Becher, die wir von Veranstaltern zurück erhalten, gezählt, überprüft und dann zur Waschanlage gebracht.» Becher, die viele Dellen oder Dreckspuren haben, werden einzeln behandelt oder recycelt.
Von Locarno nach St.Gallen
Ein leicht säuerlicher Duft liegt in der Luft. Es riecht hier ein bisschen wie an einem Openair-Morgen oder nach einer ausgiebigen Homeparty. Nur sind die Menschen weitaus aktiver als an einem verkaterten Sonntag. «Es ist das anstrengendste Wochenende im August», erklärt Ernst Brunner die Hektik. An diesem Wochenende wird zum einen das St.Gallerfest mit rund 140'000 Bechern beliefert, zum anderen die Musikfestwochen in Winterthur, das Openair Gampel und das Filmfestival Locarno. Am Donnerstag war Cup & More für die Becher in Vaduz am Staatsfeiertag verantwortlich.
«Es läuft sehr gut. Die aktuelle Klimapolitik kommt uns natürlich zugute. Die Menschen befassen sich mit dem Klima und wollen zunehmen umweltfreundlich leben», sagt Brunner. Er höre aber auch immer wieder Kritik. So bekomme er oft die Frage gestellt, ob das Mehrweg-Prinzip überhaupt ökologisch sei, wenn er dafür mit den Bechern durch die ganze Schweiz fahren müsse. Bedient Cup & More beispielsweise ein Festival im Tessin, so müssen die Becher dort abgegeben, teilweise nachgeliefert und schliesslich abgeholt werden.
«Es ist so, dass sich der Transport am stärksten auf die Ökobilanz auswirkt. Eine Studie des Bundesamts für Umwelt hat aber ergeben, dass das beste Einweg-Prinzip immer noch doppelt so schädlich für die Umwelt ist wie das schlechteste Mehrweg-Prinzip.» Da die Schweiz relativ klein ist, seien die Transportwege kurz und Mehrwegbecher trotz der Transportbelastung immer noch ökologischer als Einwegbecher. «Durch die Einführung von Mehrwegbechern können Anlässe rund 70 Prozent Abfall einsparen.» Die Rückgabequote der Depot-Becher sei übrigens ziemlich gut.
Etwa eine Million Becher im Lager
Wie viele Becher im Lager von Cup & More herum stehen, das weiss Ernst Brunner nicht genau: «Weit über eine Million. Ein Mehrwegbecher wird bei uns im Schnitt 150 Mal gebraucht.» Es sei sehr gut möglich, dass ein Becher an einem Wochenende mehrmals zum Einsatz kommt: «Es kann sein, dass ein Becher am Donnerstag am Staatsfeiertag in Vaduz war, am Freitag am St.Gallerfest und am Samstag in Locarno am Filmfestival. In diesem Fall hat der Becher sehr viel erlebt.» Das Handy von Ernst Brunner vibriert und mit den Worten «Moment, ein Kunde braucht Nachschub», verschwindet er zwischen den gestapelten, grauen Kunststoffkisten.