Ostschweiz

Pille wird 60 – zwei Betroffene berichten von negativen Erfahrungen

60 Jahre Pille

«Nie mehr verhüte ich mit Hormonen»

18.08.2020, 07:54 Uhr
· Online seit 18.08.2020, 07:53 Uhr
Die Antibabypille feiert Geburtstag: Vor 60 Jahren kam sie auf den US-Markt und ist bis heute eine der gängigsten Verhütungsmethoden. Zwei Frauen berichten von ihren Erfahrungen mit hormonellen Verhütungsmethoden.
Jasmin Stihl
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«Als ich die Antibabypille absetzte, war ich überflutet mit Emotionen», sagt Jennifer*. Über ein Jahr ist das nun her. Heute ist sie 22 Jahre alt. «Ich bekam schon sehr früh, mit zwölf, meine Periode. Doch plötzlich setzten die Blutungen aus.» Daraufhin ging sie zur Hausärztin. Diese stellte eine Hormonstörung fest. Behandlungsmethode: die Antibabypille. «Ich war erst 13-jährig und hinterfragte die Pille nicht», sagt die Schaffhauserin. Unter der Pille litt Jennifer an Beschwerden. «In meiner Schulzeit hatte ich jeden Tag Kopfweh und konnte meine Gefühle nicht einordnen», sagt die 22-Jährige. Wenn es ihr mental schlecht ging, habe sie das nicht gemerkt. «Ich kam mir vor wie in einer Nebelwolke. Alles fühlte sich stumpf an.»

Wie fühlt sich der Körper ohne Pille an?

Sie dachte, diese Erscheinungen seien in der Pubertät gewöhnlich. Bis eine Kollegin sie auf die Nebenwirkungen des Hormonpräparats aufmerksam machte. Das war mit etwa 19 Jahren. «Ab dann begann ich mich mit der Pille und deren Auswirkungen zu beschäftigen.» Sie wusste, dass sie dank Pille einen regelmässigen Zyklus und genug Östrogen erhielt. Das fand sie auch sehr positiv. Dennoch wollte sie erleben, wie es sich ohne die tägliche Hormonzufuhr anfühlt. «Als ich die Pille abgesetzt hatte, war das Kopfweh weg und ich spürte Emotionen, die in den letzten Jahren verschwunden waren.» Jedoch blieb erneut ihre Periode aus.

Der Hormonhaushalt hat sich bei ihr bis heute nicht eingependelt. Nun muss sie sich erneut medizinisch untersuchen lassen. Denn gemäss Christina Heinl, Frauenärztin in St.Gallen, können Hormonstörungen Knochenschwund verursachen. «Generell finde ich die Antibabypille eine gute Erfindung. Ich verteufle sie nicht», sagt Jennifer. Als eine Langzeitlösung sehe sie die Methode aber nicht. Deshalb sucht sie nach einer Alternative, um ihren Hormonhaushalt zu regeln.

Junge Frauen kritisch gegenüber Hormonen

«Besonders junge Frauen sind kritischer geworden gegenüber hormonellen Verhütungsmethoden», sagt Heinl. Der Grund: Generell steige der Trend zur Natürlichkeit, so auch in Sachen Verhütung.

Ausserdem führte der «Fall Céline» im Jahr 2008 zu einer Diskussion der Nebenwirkungen der Pille. Céline erlitt nach der Einnahme von «Yasmin» eine Lungenembolie. Diese führte zu schweren Hirnschäden. Céline ist heute spastisch gelähmt. «Der Fall hat zu mehr Bewusstsein gegenüber der hormonellen Verhütung geschaffen», sagt Heinl.

Der Verkauf von hormonellen Verhütungsmitteln – dazu gehören neben der Antibabypille auch Hormonspirale, Ring oder Verhütungsstäbchen – nimmt kontinuierlich ab. Seit 2010 um 33 Prozent, berichtet die «Sonntagszeitung».

Dennoch ist die Pille weiterhin eines der meistgenutzten Verhütungsmittel. Rund 65 Prozent der Frauen vertrauen weiterhin darauf. «Die Pille ist kostengünstig, sicher und überall vorhanden», sagt Heinl. Somit sei sie eigentlich ein optimales Einstiegspräparat für Jugendliche.

Lungenembolie durch hormonelle Verhütung

Das dachte sich auch Ramona*. Mit 16 Jahren begann sie, mit der Antibabypille zu verhüten. Später stieg sie auf den Nuvaring um – einen mit Hormonen versehenen Vaginalring, er hat dieselbe Wirkung wie die Antibabypille. Die heute 27-Jährige sagt: «Während ich hormonell verhütete, hatte ich nie Beschwerden. Eher Vorteile, wie zum Beispiel eine reine Haut.» Somit kam der Vorfall 2016 komplett unerwartet. «Ich hatte plötzlich enorme Schmerzen im Rücken», erzählt Ramona. Die Ärztin sagte, die Schmerzen würden von einem eingeklemmten Nerv verursacht. Sie bekam Medikamente. Doch die Schmerzen verstärkten sich. Wieder ging sie zur Ärztin. Dieses Mal wurde sie geröntgt. Diagnose: Lungenentzündung. Behandlung mit Antibiotika.

Schleppend habe sich ihr Zustand verbessert. «Als ich das erste Mal wieder arbeiten ging, hatte ich erneut so starke Schmerzen, dass ich in den Notfall gehen musste», sagt die St.Gallerin. Dort stellte man eine Lungenembolie fest. Gleich mehrere Blutgerinnsel hatten sich in der Lunge gebildet. Die damalige 23-Jährige wurde mit starken Schmerzmitteln und Blutverdünner behandelt, bis sich ihre Lunge erholte. Den Grund für die Lungenembolie schrieben die Ärzte den zugeführten Hormonen zu.

Bisher 17 tödliche Lungenembolien in der Schweiz

Von 1000 Frauen im Jahr, die auf hormonelle Verhütung mit zwei Hormonen setzen, erleiden 0,5 bis 1 Frau eine Thrombose. In seltenen Fällen kann diese zu einer Lungenembolie führen. Noch seltener sind Todesfälle. Zwischen 1990 und 2018 erhiehlt Swissmedic 17 Berichte über tödliche Lungenembolien.

«Ich wusste über die Nebenwirkungen der hormonellen Verhütung Bescheid, sah aber keinen Grund, wieso bei mir sowas passieren sollte», sagt Ramona. Sie habe nie geraucht, sich genügend bewegt und es gebe auch keine Vorerkrankungen in der Familie.

Heute lebt sie beschwerdefrei, auf längeren Reisen muss sie Stützstrümpfe tragen und Blutverdünner einnehmen. «Seit meiner Erkrankung habe ich enorm Respekt vor hormonellen Verhütungsmethoden», so Ramona. Für sie ist klar: «Nie mehr verhüte ich mit Hormonen.»

*Namen geändert

veröffentlicht: 18. August 2020 07:53
aktualisiert: 18. August 2020 07:54
Quelle: FM1Today

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