Quelle: FM1Today / Christoph Thurnherr / Philomena Koch
Langsam ziehe ich das Netz über das Heck des Schiffs hinauf. Mit der linken Hand halte ich immer eine Schlaufe mehr fest, mit rechts wird nachgefasst. Dank der knallorangen Fischerhosen wird dabei nur mein unpassendes Schuhwerk nass. Zuerst kommt ein ungewollter Fang nach oben: Die berüchtigten Quaggamuscheln setzen sich auch an Fischernetzen fest.
Dann zappelt ein Felchen im Netz. Fischereiaufseher Jörg Schweizer, der mich zur Mitarbeit verdonnert hat, entfährt ein Jubel: «Ein Prachtsexemplar! Gut gemacht!» Obwohl ich abgesehen vom Raufziehen nichts beigetragen habe, ziehe ich stolz etwas schneller. Es folgen ein schöner, grosser Saibling und eine Trüsche.
Kein Unterhaltungsausflug
Die Szenerie Mitte Juli vermag zu täuschen. Es ist ein traumhafter Morgen auf dem Bodensee vor Steinach, das Wasser glitzert in der Sonne und die Stimmung ist hervorragend. Trotzdem: Wir sind nicht zum Spass hier, wir müssen Felchen fangen. Verbotene Felchen. Seit Anfang Jahr darf der klassische Bodensee-Brotfisch nicht mehr angerührt werden, die Art ist unter Druck.
Nur die Behörden entnehmen einmal im Monat Felchen, betreiben ein Monitoring. Dies, um zu sehen, wie sich der Bestand entwickelt. Gemacht wird das seit Jahrzehnten, doch derzeit ist es besonders interessant. Die Felchen sind dezimiert, doch während der letzten zwei Monate kam mit dem Hochwasser enorm viel Nahrung ins Ökosystem: Eine Plankton-Party für die Fische.
«Mein österreichischer Amtskollege hat mir gesagt, dass er seit 20 Jahren nicht mehr so gesunde Felchen im Bodensee gesehen hat», sagt Jörg Schweizer. Damit meint er vor allem das Gewicht, die Fische sind wohlgenährt. Auch Schweizer ist bereits 15 Jahre dabei und teilt diesen Eindruck.
Nicht nur die Felchen geniessen den aktuellen Wasserstand. Anfang Juni liess sich ein Riesenwels direkt neben dem Bootshaus der Fischereiaufsicht im Steinacher Hafen nieder, um zu laichen.
Die Anzahl ist zu klein
Die Felchen, welche im Bodensee drin sind, sind jetzt gut genährt. Nur sind es zu wenige: Der kurzfristige Nahrungsschub der letzten Wochen und Monate kann keine Generationen von Fischen ersetzen, denen durch die normalerweise schlechte Nährstoffsituation zugesetzt wurde. Hinzu kommen Faktoren wie die Fischerei, der Kormoran und die Quaggamuschel.
Letztere bleibt den ganzen Morgen auf dem See präsent. An fast jedem Netz haben sich die Muscheln festgeklebt und sorgen dafür, dass wir sie nur mit Handschuhen nach oben ziehen können. Im Gegensatz dazu angenehm verläuft der Test eines neuartigen Netzes: Darin verfängt sich kein einziger Felchen. Und genau das ist das Ziel.
«Dieses Netz können die Berufsfischer in Zukunft verwenden, um während des Fangverbots den Beifang von Felchen zu vermeiden», sagt Schweizer. Die Fäden des Netzes sind so konstruiert, dass die Felchen diese mit ihren empfindlichen Seitenlinienorganen wahrnehmen und umgehen können.
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Milchner oder Rogner?
Natürlich gehört zum Monitoring auch die Auswertung des Fangs. Zurück im Fischereizentrum Steinach fällt mir das Ausfüllen der Fangstatistik zu. Wir tragen pro verwendetem Netz die gefangenen Felchen ein. Länge, Gewicht, Geschlecht. Rogner heissen die Weibchen, die Männchen nennt man Milchner.
«Die Gonaden, also die Eierstöcke der Weibchen, sind sehr gut ausgebildet, » sagt Fischereiaufseher Schweizer, «das steht in direktem Zusammenhang mit der Anzahl Eier und mit dem Nahrungsangebot».
Somit besteht immerhin Hoffnung auf eine Erholung des Felchenbestands im Bodensee. Eine Trendwende sieht Schweizer bei aller Begeisterung über das erfreuliche Monitoring jedoch nicht. «Die grundlegende Situation hat sich nicht geändert. Wir müssen dem Ökosystem Bodensee weiter Sorge tragen, sinnvolle Entscheidungen treffen und wo möglich an den Stellschrauben drehen.»
Dazu gehört auch, das Felchenmonitoring weiter zu betreiben und die Entwicklung der Fische zu begleiten. Ich würde sofort wieder mitgehen, obwohl mir Schweizer und sein Vorgesetzter klarmachen, dass die Bedingungen bei Weitem nicht immer so gut sind.
Aber so ein Felchen-Zmittag wäre wohl auch bei Regen und Schnee klasse.