Ostschweiz

Sektenschule in Uznach? Was wir wissen – und wie es nun weitergeht

Kontroverse

Sektenschule in Uznach? Was wir wissen – und wie es nun weitergeht

14.07.2022, 20:36 Uhr
· Online seit 14.07.2022, 20:19 Uhr
In Uznach soll eine neue Privatschule eröffnen, die einen Bezug zur Anastasia-Bewegung haben soll – einer Ideologie, die sektentypische Merkmale aufweist und rechts-nationalistisches Gedankengut vertritt. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Fall.
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Was ist genau passiert?

Im kommenden Schuljahr soll in Uznach eine neue Privatschule eröffnen – so weit, so unspektakulär. Doch laut der «WOZ» handelt es sich keineswegs um eine normale Privatschule. Die Zeitung bezieht sich auf Flyer und den Austausch der Schulinitiantinnen und -initianten in dubiosen, rechtsextremen Telegram-Chatgruppen. Dabei gibt es laut der «WOZ» klare Hinweise auf die Verbandelung zwischen den Schulgründerinnen und -gründer mit der rechts-nationalistischen, sektenhaften Anastasia-Bewegung.

Was ist die Anastasia-Bewegung überhaupt?

Die Anastasia-Bewegung hat ihren Ursprung in Russland und basiert auf den Büchern des Autors Wladimir Megre. Diese handeln von einer jungen Frau namens Anastasia, die in der Taiga als Nachfahrin eines uralten Volkes, der Wedrussen, lebt und eine Art gottähnlicher Mensch ist. Anastasia sei von der Zivilisation unbeeinflusst, lebt in vollkommenem Einklang mit der Natur und habe paranormale Fähigkeiten, wie beispielsweise spezielle Heilkräfte oder die Fähigkeit, mit Tieren zu kommunizieren.

In den zehn Büchern von Autor Megre geht es um Anastasia und ihre naturnahe Weltanschauung, die ganz im Kontrast zur hochtechnologisierten heutigen Konsumwelt steht. Anastasia wird in der Erzählung hochstilisiert zur Erlöserfigur der Menschheit, vergleichbar mit den klassischen Religionen, wo diese Rolle beispielsweise Jesus Christus oder dem Propehten Mohammed zukommt.

Rassentheorien und antidemokratische Tendenzen

Problematisch sind insbesondere die rassentheoretischen Behauptungen, die Megre aufstellt. So stamme der Grossteil der Europäer und Asiaten von der Zivilisation der Wedrussen ab, welche als eine Art Ur-Ideal dargestellt wird – und dem Bild des nationalsozialistisch propagierten Ariers recht ähnlich ist. Megre lässt kaum antisemitische und verschwörungstheoretische Mantren aus: Juden manipulierten, unterdrückten die Menschheit und seien für Kriege verantwortlich. Das Christentum sei einzig dazu da, die Menschen klein zu halten. Zudem gebe es Schattenmächte, die staatliche Institutionen und Medien unterwanderten.

Anastasia ist eine fiktive Figur

Der deutsche Theologe und Sektenexperte Matthias Pöhlmann beschreibt die Anastasia-Bewegung als die Verbindung von «ökologischen Ansätzen, sozial-utopischen Lebensgemeinschaftsformen, antidemokratischen Strömungen und Formen der Verschwörungsesoterik». Historisch belegt sind die Beschreibungen Megres derweil keinesfalls. Weder die Bedeutung der Zivilisation der Wedrussen noch die Existenz Anastasias. Laut Pöhlmann ist dies sogar klar widerlegt: In einem Gerichtsprozess in St. Petersburg musste Autor Megre zugeben, dass Anastasia eine «künstliche erschaffene Gestalt» sei.

Seit 2014 verbreitet sich das Anastasia-Gedankengut im deutschsprachigen Raum, vorwiegend in Deutschland. Doch auch in der Schweiz und in Österreich hat die Neu-Religion Anhänger gefunden. So fand zum Beispiel 2019 in Degersheim ein Anastasia-Fest statt.

Wieso hat die Schule eine Bewilligung erhalten?

Obwohl die Anastasia-Weltanschauung eindeutig problematische Elemente aufweist, haben die Initiantinnen und Initianten eine provisorische Bewilligung zur Aufnahme des Schulbetriebs erhalten. Wieso? Nun, in erster Linie, weil der Bezug zur Anastasia-Bewegung nicht eindeutig war und ist – heisst es vonseiten des Kantons: «Im Gesuch müssen die Antragssteller unter anderem Auskunft geben über konfessionelle und weltanschauliche Ausrichtungen. So zum Beispiel auch über Verbindungen zu religiösen Instituten», erklärt Jürg Müller, Abteilungsleiter Aufsicht und Schulqualität beim St.Galler Amt für Volksschule, gegenüber FM1Today.

Werden solche Verbindungen verneint, gehe man in einem ersten Schritt davon aus, dass diese Angaben korrekt sind. «Im schulischen Konzept der Privatschule ‹Lernraum zum Eintauchen› wird weder ein klarer Bezug zur Schetinin-Pädagogik noch zur Anastasia-Bewegung deutlich», so Müller.

Hat der Kanton St.Gallen nicht genau genug hingeschaut?

Geht es nach den Recherchen der «WOZ», dann ja. Die Verbindung zur Anastasia-Bewegung werde offen dargestellt. Etwas anders sieht es der Kanton. Laut Jürg Müller gibt es zwar gewisse Elemente im Schulkonzept, die mit der Schetinin-Philosophie im weitesten Sinne in Verbindung gebracht werden können, aber: «Es basiert sicherlich nicht das gesamte Schulkonzept auf dem Gedankengut der Schetinin- oder Anastasia-Ideologie.»

Die erwähnten Elemente seien nicht klare Indikatoren für das Schetinin-Konzept: «Gewisse pädagogische Aussagen sind in verschiedenen Schulkonzepten zu finden, beispielsweise auch in der Montessori-Pädagogik. Darum ist das Konzept nicht einfach der rechts-esoterischen Schublade zuzuordnen, man muss das differenzierter anschauen», sagt Müller.

Mieter streitet Anastasia-Bezug ab

Thomas Kochanek, der für die Schule in Uznach die Räumlichkeiten gemietet und bei der Einreichung des Gesuchs involviert war, gibt gegenüber der «WOZ» an, dass er zwar die Schetinin-Schulprinzipien befürworte, jedoch distanziert er sich klar von der Anastasia-Bewegung – er habe noch nie etwas davon gehört.

Ob dies der Wahrheit entspricht, ist nicht klar. Für Sektenexpertin Susanne Schaaf von Infosekta Schweiz ist die Verflechtung zwischen Schetinin und Anastasia eindeutig: «Der Zusammenhang besteht. Die Schetinin-Schule und die Anastasia-Bewegung beziehen sich immer wieder gegenseitig aufeinander.»

Wie geht es nun weiter?

Die Schule hat in Uznach die provisorische Betriebsbewilligung erhalten. Dabei bleibt es vorerst. Stand heute kann die Schule den Betrieb nach den Sommerferien aufnehmen. «Die provisorische Bewilligung ist rechtsgültig. Wir sehen im Moment keinen Anlass, an diesem Beschluss etwas zu ändern», sagt Jürg Müller.

Die provisorische Bewilligung ist auf zwei Jahre beschränkt – in dieser Zeit müsse sich die Schule bewähren, wie Müller sagt. Dabei wird den Betreibern von der Aufsicht des Volksschuldepartements auf die Finger geschaut. Sollten dann weiterhin keine Bedenken aufkommen, dann kann die Schule nach Ablauf der Frist eine definitive Bewilligung beantragen.

Jürg Müller betont, dass es sich bei dieser Konstellation um den aktuellen Stand der Dinge handelt. Heisst wohl: Sollte sich der Anastasia-Bezug erhärten und der Unterricht nicht dem bewilligten Schulkonzept entsprechen – dann dürfte die neue Privatschule in Uznach rasch wieder Geschichte sein.

veröffentlicht: 14. Juli 2022 20:19
aktualisiert: 14. Juli 2022 20:36
Quelle: FM1Today

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