Den Traum, auf unbestimmte Zeit unterwegs zu sein, haben sich Imelly Scherrer und Julian Tomasini ab Mai 2023 erfüllt. In der Schweiz gestartet, haben sie bisher über 20 Länder mit ihren Drahteseln bereist. Damals wollten die beiden 50 Kilometer pro Tag zurücklegen. Ob das geklappt hat und was ihnen auf der bisherigen Reise besonders gefallen hat, liest du im Interview.
Vor einem Jahr habt ihr erzählt, dass ihr nach Tschechien durch die Slowakei, Ungarn und über den Balkan fahren wollt. Wie ging die Route weiter?
Imelly Scherrer: Richtig. Wir sind anschliessend von Tschechien aus nach Wien gefahren, dann weiter nach Ungarn und von dort aus spontan nach Rumänien – was sich als gute Entscheidung herausstellte. Von dort ging es weiter nach Serbien und Kroatien, dann durch Bosnien und Herzegowina entlang der Küstenstrasse des Adriatischen Meeres.
Anschliessend sind wir weiter nach Albanien und an den wunderschönen Ohridsee in Nordmazedonien gefahren. Unsere Reise führte uns von da an nach Griechenland und weiter in die Türkei. Da es in Georgien und Armenien zu kalt gewesen wäre, mussten wir die Route umplanen – also sind wir mit der Fähre nach Zypern gefahren.
Wie ging es weiter?
Imelly: Ursprünglich wäre auch Palästina auf dem Plan gewesen, doch der Krieg hat uns daran gehindert. Also sind wir von Zypern aus über Palästina und Israel geflogen und schliesslich nach Jordanien gereist.
Dann wurden auch alle Golfstaaten bis auf den Jemen besucht. Von Dubai sind wir mit der Fähre in den Iran gereist, wo wir uns aktuell befinden.
Anschliessend ist unser Plan, weiter nach Pakistan und von dort aus nach Indien, Nepal und Bangladesch zu radeln – also immer weiter in den Osten.
Welches Land hat euch bisher besonders gefallen?
Julian Tomasini: Das ist schwer zu beantworten. Jedes Land hat seine eigene einzigartige Schönheit. Oft sind es die Menschen, die diesen Eindruck prägen.
Dann anders gefragt: Welche Länder haben besonders Eindruck hinterlassen?
Imelly: Rumänien hat uns mit seiner atemberaubenden Natur überrascht. Ebenso der gesamte Balkan, wo die Menschen besonders interessiert und gastfreundlich sind. In der Türkei wurden wir täglich zum Çay (Tee) eingeladen.
In Jordanien und Saudi-Arabien durften wir jeweils zehn Tage lang bei Familien leben – so hatten wir tiefe Einblicke in die Kultur, den Islam sowie die kulinarische Vielfalt.
Kurz gesagt: Jedes Land hat seine eigenen Reize und Besonderheiten.
Euer Ziel war es, 50 Kilometer pro Tag zurückzulegen. Hat das funktioniert?
Julian: Unser Durchschnitt liegt mittlerweile bei etwa 60 bis 80 Kilometern pro Tag. Insgesamt sind wir an 365 Tagen 18'100 Kilometer mit dem Fahrrad gefahren. Diese Zahl kann sich sehen lassen, oder? (lacht)
Könnt ihr Highlights aus der bisherigen Reise nennen?
Imelly: In Rumänien haben wir wilde Braunbären gesehen, die weniger als fünf Meter von uns entfernt waren – das war atemberaubend. In Belgrad (Serbien) lernten wir jemand kennen, der uns innerhalb von 72 Stunden bei Tag und Nacht das Leben aus Sicht eines Einheimischen zeigte.
Die Meteora-Klöster in Griechenland waren sicherlich auch ein Highlight. Die Heissluftballone am Morgen sowie die Landschaft in Kappadokien (Türkei) waren ebenfalls wunderschön.
Doch das absolute Highlight ist der Support, den wir von allen Menschen erhalten – egal welche Religion, Kultur oder Sprache die Menschen haben und sprechen. Jeder hilft uns und findet cool, was wir machen und gibt uns etwas zu trinken oder führt ein kurzes Gespräch mit uns.
Das ist es, was wirklich zählt auf unserer Reise: Die Nähe zu den Menschen und den Kulturen.
Seid ihr auf eurer Reise auch schon auf Herausforderungen gestossen?
Julian: In Saudi-Arabien gerieten wir mitten in der Wüste in einen Sandsturm und konnten uns nicht schützen, da nichts da war, um unterzustehen. Zudem kann es echt anstrengend sein, den ganzen Tag gegen den Wind anzukämpfen und doppelt so hart treten zu müssen, um nur halb so weit zu kommen.
Imelly: Ich hatte in Saudi-Arabien immer wieder mit starken Zahnschmerzen zu kämpfen. Letztlich wurde mir ein Weisheitszahn in Abu Dhabi gezogen.
Ausserdem ist es nicht immer leicht, 24 Stunden am Tag beieinander zu sein – besonders abends, wenn wir beide müde und eher gereizt sind.
Haben die Velos bisher Stand gehalten?
Julian: Bis jetzt haben die Velos relativ gut Stand gehalten. Kurz vor Istanbul wurde ich von einem Auto erfasst. Glücklicherweise ging nur das Hinterrad kaputt. Anschliessend machten wir gleich für beide Velos einen grossen Service, einige Teile mussten ersetzt werden.
Wie sieht es finanziell aus? Könnt ihr bis heute von eurem Ersparten leben
Julian: Wir reisen sehr einfach und können von durchschnittlich etwa sechs Franken pro Tag leben. In diesen sind unsere kompletten Ausgaben der Reise mit einberechnet. Hier dürft ihr euch selbst ausrechnen, wie viel wir bisher gebraucht haben. (lacht)
Imelly: Ausserdem konnten wir fast immer im Zelt schlafen – 67 Mal wurden wir gehostet und 21 Mal haben wir in einem Hotel oder Hostel übernachtet. In Abu Dhabi haben wir das erste Mal ungewollt ein Hostel bezogen, da wir von einem heftigen Sturm hörten. Die Entscheidung erwies sich als schlau – von dem Hochwasser in Dubai und Abu Dhabi konnte man ja überall lesen.
Wolltet ihr die Reise schon einmal abbrechen?
Imelly: Ich hatte Momente, in denen ich die Reise mit dem Fahrrad anzweifelte. Vor allem an Tagen, an denen es viele Höhenmeter zu bezwingen gab – oder mich das Heimweh übermannte. Aber schlussendlich überwiegen die positiven Momente.
Wie fühlt es sich an, solange von Freunden und Familie getrennt zu sein?
Imelly: Meine Familie hat uns Anfang November für eine Woche in der Türkei besucht. Ebenfalls im November kamen zwei Freunde von uns übers Wochenende nach Istanbul.
Julian: In Bahrain haben wir meine Familie für zwei Tage getroffen und später meine kleine Schwester für fünf Tage in Doha. Aber über Whatsapp oder Facetime ist man ja irgendwie immer noch mit Familie und Freunden vernetzt. Wir wussten ja, auf was wir uns einlassen.
Wie die Reise der beiden St.Galler weitergeht, kann täglich auf Social Media verfolgt werden.
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