Ostschweiz
St. Gallen

Eine Rheintalerin spricht über ihre Arbeitslosigkeit

Arbeitslosigkeit

Existenzängste und Einöde: Katja war eineinhalb Jahre arbeitslos

27.12.2020, 14:28 Uhr
· Online seit 27.12.2020, 13:22 Uhr
Aufstehen, putzen, vor dem Fernseher sitzen und schlafen – und das Tag für Tag. Eineinhalb Jahre lang. Katja* (31) erzählt von ihrer Arbeitslosigkeit, was das mit ihr und ihrem Umfeld gemacht hat und wie es ihr heute geht.
Anzeige

Katja hat per Ende November 2018 gekündigt. «Ich war lange unglücklich mit meinem damaligen Job», sagt sie. Dass sie danach eineinhalb Jahre auf einen neuen Arbeitsplatz warten muss – damit hatte sie nicht gerechnet.

Rückenschmerzen, keine Lebensqualität

Es waren mehrere Faktoren, die Katja dazu bewegten, ihre Stelle zu kündigen. «Man versprach mir einen anderen Job als den, den ich schlussendlich gemacht habe», sagt sie. Die St.Gallerin arbeitete in einem Churer Kleiderladen. Gelernt hatte sie Detailhandelsfachfrau, nach bestandener Berufsmatura absolvierte sie ein Studium. Faktor zwei: der Weg. Eine Strecke bedeutete über eine Stunde pendeln. Sie musste früh los, kam spät nach Hause. Null Lebensqualität, wie sie sagt. Die 31-Jährige lebt in einem Rheintaler Dorf, in der Nähe des Bodensees. Ein Bandscheibenvorfall war am Ende ausschlaggebend für die Kündigung. «Ich hatte grosse Schmerzen und bin oft ausgefallen», sagt sie. Ohne diese Schmerzen hätte sie wohl einfach durchgebissen und würde vielleicht heute noch dort arbeiten.

Ihr Mann, damals noch ihr Freund, habe gesagt: «So, jetzt ist fertig, du kündigst.» Er war und ist ihr eine grosse Stütze, gab ihr die Sicherheit, dass sie es schaffen würden. «Wenn man zusammenlebt, kann man so eine Entscheidung nicht alleine treffen», sagt Katja.

Als ihr Arbeitsverhältnis schliesslich endete, fiel ihr ein Stein vom Herzen – der ganze Ballast war wie weggeblasen, wie sie sagt. Im ersten Moment war sie einfach nur glücklich über ihren Entscheid. Nach einer kleinen Auszeit wollte Katja sich ans grosse Bewerben machen. Doch aus einem Monat Auszeit wurden eineinhalb Jahre Arbeitslosigkeit.

«Habe uns in die Scheisse geritten»

Bewerbung um Bewerbung, Absage um Absage. Obwohl sich Katja direkt nach der Kündigung beim RAV anmeldete und sich immer an das Programm der Arbeitslosenkasse hielt – nichts. Es folgten Ängste, Existenzängste. «Wie soll ich meine Rechnungen bezahlen? Wie soll ich die Miete zahlen?» Zum Überleben reichte das Geld der Arbeitslosenkasse gerade knapp. Auch das schlechte Gewissen habe sie geplagt. «Mein Mann ging für uns beide arbeiten.»

Katja musste sich auf einmal für Stellen bewerben, die ihr eigentlich nicht gefielen. Währenddessen flatterten Absagen in ihren E-Mail-Posteingang. Sie bereute die Kündigung bei ihrem Churer Arbeitgeber. Das war der Moment, als sie dachte: «Ich habe uns in die Scheisse geritten.» Mittlerweile hatte sie geheiratet, im Juli 2019.

Und täglich grüsst das Murmeltier

Am Anfang ihrer Arbeitslosigkeit wollte sie den Rhythmus nicht verlieren. Sie stellte sich den Wecker, wollte den Tag nicht verschlafen. Irgendwann ergab es keinen Sinn mehr. Irgendwann hatte sie nichts mehr zu tun. Manchmal schlief sie den ganzen Nachmittag. Rausgehen, das wollte die 31-Jährige nicht. An das Pyjama- und Trainertragen hatte sie sich gewöhnt. «Schminken wollte ich mich auch nicht mehr», auch das Haarewaschen ging vergessen. Wofür sollte sie nach draussen gehen? Nach einem Spaziergang landete sie ja eh wieder nur zu Hause auf der Couch.

Eine Negativspirale, die einfach nur frustrierend war. «Es war deprimierend. Ich war depressiv in dieser Zeit», sagt Katja. Sie verweist auf ein Lied von Rapper Materia, dort heisst es: «Ich will nicht, dass der Tag beginnt, will nicht, dass er endet.» So habe sie sich gefühlt. Katja wollte sich professionelle Hilfe holen. «Ich habe viel darüber nachgedacht, aber das war finanziell nicht machbar.» Sie putzte. Täglich – täglich einen Frühjahrsputz.

Aufräumen, Abstauben, Staubsaugen, Boden feucht aufnehmen und Netflix bestimmten fortan ihr Leben. Mental sei es eine «scheiss Zeit» gewesen. Sich einzugestehen, dass man es nicht schafft, einen Job zu finden. «Wenn mich andere danach gefragt haben, habe ich gewitzelt ‹Ich bin halt jetzt Hausfrau›. Wenn du aber effektiv arbeitslos und beim RAV angemeldet bist, ist es ein schlechtes Gefühl. So quasi: Alle anderen zahlen für dich.»

«Es war sinnlos»

Bewerbungen gingen immer wieder raus. Irgendwann waren die Jobsuch-Seiten ausgeschöpft. Sie hatte sich schon für alles beworben. Auch Blindbewerbungen haben nichts genützt. «Mein Mann war enttäuscht, wenn ich keine Bewerbungen schrieb. Aber irgendwann habe ich es so gehasst, weil es einfach sinnlos war», sagt die 31-Jährige. «Man schreibt, gibt sich Mühe. Jede Bewerbung sollte einzigartig sein. Aber wieso noch Mühe geben, wenn es eh wieder Nein heisst?»

Unter den Umständen der Arbeitslosigkeit litt nicht nur sie. Auch ihr Mann konnte ihr nicht helfen. Er konnte sie zu nichts motivieren, wenn er nach Hause kam, versuchte er Katja aufzubauen: «Es war ruhig und dann kam er und war laut», sagt sie. «Ich war überfordert mit ihm und er mit mir.» Es gab Momente, die auch gut taten. Zum Beispiel dann, wenn ihre Freundinnen sie für kurze Zeit aus dem Alltag rissen und Katja von ihrem Trott ablenkten.

Mit neuem Nachnamen zu Job?

Wieso sie – hunderte Bewerbungen später – so lange keine Stelle gefunden hat, weiss sie nicht. «Ich war mutig und wollte auffallen.» Vielleicht war es ihr Alter und Zivilstand – Sie war Anfang 30 und frisch verheiratet. Vielleicht war es aber auch ihr ausländischer Nachname, der sich erst nach der Hochzeit änderte. «Mit der Namensänderung kamen auch die Einladungen für Bewerbungsgespräche.»

Schlussendlich konnte Katja nur etwas aus ihrem Loch holen. Und das war eine Stelle. Während des Lockdowns bekam sie viele positive Rückmeldungen auf ihre Bewerbungen. «Das hat mich aufgebaut.» Als sie die Chance hatte, sich via Skype bei einer Firma vorzustellen, übte sie mit einer Freundin. «Wir haben eine Woche lang jeden Abend ein Probebewerbungsgespräch geführt. Sie weiss, wie solche Gespräche ablaufen und was wichtig ist. Sie opferte ihre Freizeit für mich.» Selbstbewusstsein und Zuversicht haben ihr die Übungsabende eingeflösst. «Beim Bewerbungsgespräch war ich sehr zäh und wollte den Job unbedingt.»

«Es ist einfach nur schön»

Es klappte. Auch wenn die Zusage nicht sofort kam. «Sie riefen an und teilten mir zuerst mit, dass sie für die entsprechende Stelle eine andere Person ausgewählt hätten und boten mir sogleich eine andere an. Ich war einfach nur glücklich.» Seit dem 1. Juli 2020 arbeitet Katja nun in der Disposition einer Firma in St.Gallen. «Der erste Lohn fühlte sich so an, als hätte ich eine Million Franken nach Hause gebracht.»

Die Ängste waren aber noch nicht ganz abgeklungen. «Ich hatte Angst, dass ich zu lange weg vom Arbeitsmarkt gewesen sein könnte, dass ich verschlafe oder dumm geworden bin», sagt sie. Doch mit der Zeit erhielt sie Routine. Nach einer Woche auf der neuen Arbeitsstelle musste sie den Laden beinahe schon alleine schmeissen. Bei der Feuertaufe habe sie schnell gemerkt, dass sie das ganze kann. Auch das positive Feedback von Vorgesetzten gab ihr Selbstvertrauen.

Die Arbeitslosigkeit hat sie einiges gelehrt. «Egal wie schwer, hart und demotivierend deine Situation ist, du musst dran bleiben und darfst dich selber nie aufgeben.» Irgendwann füge sich alles und es gehe weiter. «Es ist wichtig, sich auf die Bewerbungsgespräche vorzubereiten, auch wenn man das Gefühl hat, man schaffe es locker.»

Katja sieht wieder einen Sinn in dem, was sie macht. Sie hat wieder einen Grund, aufzustehen, sich zu freuen, wenn es 17 Uhr ist oder Wochenende. Die Kündigung damals Ende November 2018 war richtig und sie würde es auch wieder tun, sollte sie sich im Betrieb nicht mehr wohl fühlen. «Kündigen, ohne einen anderen Job in Aussicht zu haben, würde ich zwar nicht mehr, doch es war die richtige Entscheidung.» Damit sie das aber nicht tun muss, achtet sie darauf, dass sie nie mehr in eine Situation wie damals kommt. «Ich wehre mich und spreche Probleme sofort an. Mir ist es wichtig, dass ich meinen Job auch in einem Jahr noch gerne mache.»

*Name der Redaktion bekannt

veröffentlicht: 27. Dezember 2020 13:22
aktualisiert: 27. Dezember 2020 14:28
Quelle: FM1Today

Anzeige
Anzeige