Quelle: tvo
Hunde bellen, wenn Unbekannte im «Camp» der Fahrenden in der Kreuzbleiche auftauchen. Mehrere Dutzend Wohnwagen stehen kreuz und quer auf der Wiese, Stromkabel und Wasserschläuche sind über den Boden gespannt. Obwohl hier fast 100 Erwachsene und Kinder leben, ist es an jenem Nachmittag ruhig. Viele seien am Arbeiten, erklärt Popi. Popi, sein richtiger Name ist Alfred Werro, ist der Präsident des «fahrenden Zigeuner-Kultur-Zentrums», das bereits zum dritten Mal Halt in St.Gallen macht. «Wir sind wie jeder andere Schweizer auch, nur reisen wir.»
Rund 28 Wohnwagen stehen seit drei Wochen auf der Wiese bei der Kreuzbleiche. Es sind Wohnwagen mit Schweizer Nummernschilder, aber auch solche aus Frankreich und Portugal. Der Platz in St.Gallen ist für die Gruppe einer von sieben in diesem Sommer. Um die Stellplätze zu bekommen, musste das Zentrum rund 130 Bewerbungen starten. «Es ist so schwierig, einen Platz zu finden», so Popi. Rund 2000 bis 3000 Personen leben in der Schweiz als fahrende Jenische und Sinti, leider geben es aber nur wenige offizielle Durchgangsplätze. Das «fahrende Zigeuner-Kultur-Zentrum» kann diesen Sommer nur auf «inoffiziellen» Plätzen mit Bewilligung Halt machen.
Gewaschen wird in Waschmaschinen im Kofferraum
Im Kanton St.Gallen gibt es bisher keinen offiziellen Durchgangsplatz. Der Kanton hat dem Kultur-Zentrum jedoch die Bewilligung für den Aufenthalt in der Kreuzbleiche erteilt. «Wir zahlen auch dafür», so der Präsident. Die Fahrenden hätten gewisse Vorgaben an die Plätze: «Es muss Wasser und Strom haben. Wir können nicht überall leben.» So steht beispielsweise ein gelber WC-Wagen auf einem Parkplatz neben dem Camp. WCs und Duschen haben die Fahrenden aber auch in ihren Wohnwägen. Gewaschen wird in Waschmaschinen in einem Kofferraum eines Autos.
«Der Platz in St.Gallen ist einer der schönsten», so Popi. Die grosse Wiese sei wie ein riesiger Balkon. «Die Meisten sind aber am liebsten rund um Zürich, weil es dort am meisten Arbeit gibt.» Auch in Chur habe das Zentrum schon halt gemacht, dort sei es jedoch sehr ruhig gewesen. Rund drei bis vier Wochen bleiben die Fahrenden an einem Ort, bevor sie weiterziehen. «Gefahren» wird von März bis August. Den Winter durch werden die Wohnwagen auf Standplätze gestellt. «Einige reisen auch weiter oder haben im Winter eine Wohnung.»
Popi selbst hat seinen Winter-Standplatz in Adliswil, Zürich. Er selbst wohnt ganz alleine in einem Wagen. Seine fünf Kinder sind bereits erwachsen. «Ich bin das ganze Jahr im Wohnwagen, seit ich Kind bin. Das ist meine Kultur, so bin ich aufgewachsen. Wir campieren nicht, wir wohnen.» Popi lebe wie jeder andere Schweizer: Er zahle Steuern, habe das Militär besucht und gehe arbeiten. «Nur mein Schlafzimmer ist vielleicht so gross wie dein Bad», witzelt er. Als Fahrender lebe man bescheiden: «Wir besitzen nur Wohnwägen, keine Häuser.» Beispielsweise im Wohnwagen seiner Tochter Narzisse Birchler-Werro wohnen auf kleinstem Raum Eltern und Kinder (11 und 14 Jahre) zusammen.
«Der Ruf ist geblieben»
Um Geld zu verdienen, gehen die Männer Alteisen sammeln, Fensterläden und Fassaden streichen oder Textil verkaufen. Auch die Kinder lösen Schulaufgaben, die ihnen Lehrpersonen in der angemeldeten Gemeinde zur Verfügung stellen. «Wir leben wie andere.» Trotzdem hätten die Fahrenden noch immer mit einem sehr schlechten Ruf zu kämpfen. «Vor 70 Jahren mussten sich die Fahrenden nicht anmelden und haben deshalb auch keine Steuern bezahlt. Das ist heute nicht mehr so, der Ruf ist aber geblieben», so Popi.
Das Wort «Zigeuner» findet Popi an sich nicht schlimm. «Es kommt darauf an, wie man es sagt oder gebraucht.» Viele könnten mit dem Begriff Jenisch oder Sinti nicht viel anfangen. Zur Erklärung helfe oft das Wort «Zigeuner», da sich viele darunter etwas vorstellen könnten.
Nächstes Jahr kommen sie wieder
Um der restlichen Bevölkerung die Lebensweise der Fahrenden näher zu bringen, veranstaltet das «fahrende Zigeuner-Kultur-Zentrum» Podiumsgespräche, lädt Schulen ein oder organisiert Fotoausstellungen. Seit den letzten Jahren werden die Fahrenden, vielleicht gerade deshalb, weniger angefeindet. Zuvor sei es auch schon zu Randalen von Auswärtigen gekommen.
Das Zentrum wird aber nicht mehr lange in St.Gallen bleiben. Am Wochenende wollen die Wohnwagen weiter nach Zürich ziehen. Doch auch nächstes Jahr wird in St.Gallen für zwei Wochen ein Halt eingelegt. Darauf freue man sich, so Popi.