Ostschweiz
St. Gallen

«Ich wollte nie betrügen» – Freispruch für Wattwiler Adullam-Mitglied gefordert

Kreisgericht St.Gallen

«Ich wollte nie betrügen» – Freispruch für Wattwiler Adullam-Mitglied gefordert

21.04.2022, 11:14 Uhr
· Online seit 20.04.2022, 15:50 Uhr
Er soll während Jahren Angehörige, Bekannte und den Staat um insgesamt über vier Millionen Franken betrogen haben, um damit seinen teuren Lebensstil zu finanzieren. Deshalb steht ein Mitglied des Ältestenrats der «Sekte» Adullam in Wattwil am Mittwoch vor dem St.Galler Kreisgericht. Der Angeklagte bestreitet, absichtlich betrogen zu haben, und fordert einen Freispruch.

Quelle: tvo

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Er ist zu hören, bevor er im Gerichtssaal auftaucht: Die Fussfesseln klimpern bei jedem Schritt, den der Beschuldigte auf der Treppe des Kantonsgerichts geht, in dem aufgrund der Platzverhältnisse die Kreisgerichts-Verhandlung stattfindet. Der ehemalige Grossbanker nickt den Anwesenden zu, lächelt freundlich. Die Fussfesseln wirken neben dem glatt gebügelten Anzug oberhalb der Lackschuhe fehl am Platz. Angehörige schütteln den Kopf, ärgern sich über die Fesseln, betonen die Unschuld ihres Freundes oder Verwandten.

Dann wird es ruhig im Saal, die Befragung beginnt. Der Angeklagte erzählt, wie er in Wattwil aufwuchs, studierte, als Lehrer arbeitete und schliesslich bei einer Grossbank eingestellt wurde. Seit Juni 2019 befinde er sich nun im Gefängnis – zu diesem Zeitpunkt seien all seine Gelder blockiert worden. «Mir geht es den Umständen entsprechend gut», sagt er zur Frage nach seinem Wohlbefinden. Vor allem, weil er seine Familie regelmässig sehen könne.

Kein Unterschied zwischen Fremd- und Privatkapital

Der Richter geht auf die Beschuldigungen ein. Während fast zehn Jahren, ab Frühling 2007, soll er zwei seiner Geschwister, ein Adullam-Mitglied, eine Grossbank, sowie den Staat, gemäss Staatsanwaltschaft, um über vier Millionen Franken betrogen haben. Er habe jeweils angegeben, in Anlagen zu investieren, verwendete das Geld dann aber für private Aufwendungen wie Luxusinstrumente, Militärflugzeuge oder Schmuck.

«Ich habe keinen Unterschied zwischen Fremd- und Privatkapital gemacht», gibt der Angeklagte zu. So sei das Geld, das beispielsweise seine Geschwister in vermeintliche Anlagen investierten, auf sein Privatkonto geflossen. «Ich betrachtete das Geld wie mein eigenes, es blieb in der Familie. Es spielte für mich keine Rolle, für welchen Zweck ich das Geld brauche. Wenn die Familienmitglieder ihr Geld zurückgewollt hätten, hätte ich es ihnen zurückgezahlt.»

Er gesteht, dass er fremdes Geld auch für private Zwecke nutzte, dies aber immer mit dem Gedanken, es zu einem späteren Zeitpunkt zu investieren. «Ich hatte nie die Absicht, zu betrügen oder zu täuschen.» Er sei kein Durchschnittsverdiener gewesen und habe sich durch seinen Spitzenlohn bei der Grossbank einen gewissen Lebensstil leisten können – auch ohne die Gelder der Angehörigen.

«Eine unfassbare Dreistigkeit»

Auch von einem möglichen Betrug der Glaubensgemeinschaft Adullam will der Angeklagte nichts wissen. Er habe die Gemeinschaft nach dem Tod des Gründers retten wollen. Die Familie habe jedoch das Erbe blockiert. Deshalb habe er das Geld für anfallende Kosten auf andere Art besorgen müssen. Ein Adullam-Mitglied habe dem Angeklagten einen hohen Geldbetrag gegeben, welchen er, gemäss Anklage, unter anderem für private Luxusintrumente brauchte. Aktuell laufen die Spenden an die Mission Adullam über ein Konto, das auf den Namen des Angeklagten lautet. Damit würden die Mieten der Adullam-Liegenschaften gezahlt. «Ich habe damit aber derzeit nichts zu tun», sagt der Angeklagte vor Gericht.

Die Privatkläger der beiden Geschwister fordern in einer Zivilklage die Rückzahlung von rund zwei Millionen Franken. Die Anwältin einer der Geschwister bezeichnet die Taten des Beschuldigten als «skrupellose Täuschung», die Folgen würden die Betroffenen noch immer stark beschäftigen. «Es ist eine nicht fassbare Dreistigkeit.» Insbesondere, weil die Geschwister in streng christlichem Glauben erzogen wurden und Vertrauen und Ehrlichkeit eine grosse Rolle spielten.

«Zuvorkommender, engagierter Mensch»

Die Verteidigung des Angeklagten fordert in den meisten Punkten einen Freispruch. Er sei des Betrugs an der Arbeitslosenkasse, der Urkundenfälschung und der ungetreuen Geschäftsführung in einem Punkt für schuldig zu sprechen und angemessen zu bestrafen. «In allen anderen Punkten sei er freizusprechen und für die Überhaft entsprechend zu entschädigen», sagt sein Anwalt.

Er habe Fehler gemacht, allerdings waren die Absichten nie krimineller Natur, sagt der Anwalt. Er habe immer vorgehabt, das Geld zurückzuzahlen. «Das Umfeld schätzt den Beschuldigten als zuvorkommenden, engagierten Mitmenschen, der sich nie etwas zuschulden hatte lassen kommen.» Er vermutet einen Erbschaftsstreit als Hintergrund für den Unmut der Geschwister, die gemäss Anwalt nicht glücklich über den Erfolg ihres Bruders waren.

Staatsanwaltschaft fordert 8 Jahre Gefängnis

Die Staatsanwaltschaft spricht von einem «parasitären Lebensstil» – andere sollten für sein Leben über den Verhältnissen zahlen. «Er hat sämtliche Lohnerhöhungen und Bonuszahlungen für sich behalten und die Schulden nicht ansatzweise zurückgezahlt», so die Staatsanwältin. Er habe sich massiv an den Geschwistern bereichert, enge Vorgesetzte und die Arbeitslosenversicherung hintergangen, alles nur, um besser zu leben. So bezog er Arbeitslosengeld, obwohl er bereits wieder eine Anstellung hatte.

«Es ist nicht einfach dumm gelaufen, es war kein einmaliger Ausrutscher, sondern eine Grundhaltung, die zum Kern des Angeklagten gehört. Er hat das Verhältnis der Familienmitglieder nachhaltig zerstört und zutiefst erschüttert und lebte nach dem Motto: Alle für einen und mehr für mich.»

Die Staatsanwaltschaft fordert acht Jahre Gefängnis, eine Busse von 1000 Franken, ein Berufsverbot von fünf Jahren und die Übernahme der Verhandlungskosten von über 30'000 Franken. Ausserdem sollen die Geschädigten ihre Anteile zurückerhalten.

«Ich möchte für meine Familie da sein»

Warum wird so etwas in Zukunft nicht mehr passieren? Das will der Richter vom Angeklagten wissen. «Ich war fast drei Jahre ununterbrochen in Gefangenschaft. Ich habe für die Fehler, die ich gemacht habe, sehr viel Lehrgeld gezahlt», sagt dieser. Er werde nie mehr Geld im Familienkreis vergeben, ohne dafür Verträge aufzusetzen. Und über seine Pläne für die Zukunft: «In einem ersten Schritt möchte ich wieder für die Familie da sein», seine Stimme bricht ab, er kämpft mit den Emotionen. «Meine Frau war sehr viel weg von den Kindern, ich möchte so schnell wie möglich wieder für meine Familie da sein.»

«Kein fairer Prozess»

In seinem Schlusswort gibt sich der Angeklagte dankbar für die Möglichkeit, sich zu erklären. Er sei aber «befremdet, erstaunt und schockiert» über die «stark gefärbten» Ausführungen der Staatsanwaltschaft. «Es wird das schlimmste Bild von mir als Betrüger dargelegt und mit diesem Bild bin ich nicht einverstanden.» Das sei kein fairer Prozess.

Ein Urteil wurde im Prozess noch nicht gefällt, dieses soll am Donnerstag verkündet werden. Es gilt die Unschuldsvermutung.

veröffentlicht: 20. April 2022 15:50
aktualisiert: 21. April 2022 11:14
Quelle: FM1Today

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