«Der Komplettierungswahn schreitet voran. Mit Platz 2 der Sportanlage Kellen konnte der B-Platz des FC Rorschach-Goldach III erledigt werden», schreibt Pascal Niederer auf seiner Review auf Social Media. Dazu postet er mehrere Fotos mittelmässig sportlich aussehender Fussballspieler und für ihn entscheidender: dem Fussballplatz.
Niederer ist ein Groundhopper. Das heisst, er «hüpft» von Spielstätte zu Spielstätte und sieht sich so viele Fussballspiele an unterschiedlichen Orten an, wie es nur geht. Dabei macht er offensichtlich auch vor den absoluten Niederungen des Amateurfussballs nicht halt.
Das Testspiel zwischen Rorschacherberg und Staad 2 beschreibt er als «stellenweise sehr grob, jedoch auch sehr unterhaltsam». Weiter hält er die Zuschauerzahl (25), Kaffee- und Eintrittspreise (4.50 bzw. 0) fest, zusammen mit anderen Daten zu Spiel und Platz.
«Mehr als ein Hobby»
Lieber als den dritten Platz der Sportanlage Kellen in Tübach streicht Niederer Stadien im Ausland von seiner Liste. Das ist denn auch seine erklärte Priorität. «Mein höchstes Ziel ist es, sicher auf jedem Kontinent ein Spiel zu sehen. Mein zweites Ziel ist es, ein Land von der Liste streichen zu können», sagt Niederer gegenüber FM1Today.
Da die Zeit etwa an einem Dienstagabend aber nicht für einen Trip ins Ausland reicht, kommt dann halt auch mal die Sportanlage Kellen dran – oder ein Platz in Rapperswil-Jona: «Hauptsache ein Spiel mehr», sagt der 39-Jährige.
Seit er Groundhopping aktiv betreibt, sind schon einige zusammengekommen. «Ich habe etwa 800 Fussballspiele an unterschiedlichen Orten und in 46 Ländern gesehen», sagt Niederer, «es ist für mich mittlerweile mehr als nur ein Hobby». Er versuche auch immer eine Rezension zu schreiben.
Inspiriert von einem Buch
Früher habe er mit Freunden oft Städtetrips unternommen und sei dann in Verbindung damit noch ins Stadion. «Das Erlebnis war immer ganz spannend – auch wenn uns das Fussballspiel inhaltlich eigentlich nicht interessiert hat. Eher alles andere: Wie kommen wir überhaupt an Tickets, wie sind das Bier und das Essen oder die Stimmung», sagt Niederer.
Schliesslich habe er das Buch «Von Haifa bis Havanna» geschenkt bekommen, das von einem Frankfurter Groundhopper geschrieben wurde. «Da hat es bei mir gedreht. Ich bin nicht mehr in irgendeine Stadt und nebenbei Fussball schauen, sondern umgekehrt», sagt der St.Galler.
Und dabei geht es ihm gar nicht wirklich um den Fussball. «Klar, das Ganze ist fussballgesteuert – aber es geht um das Drumherum. Schlussendlich ist man einfach oft unterwegs und erlebt dauernd was», sagt Niederer.
«An einen Gurkenmatch kommen oft mehr Leute mit»
Ziel beim Groundhopping sei es, möglichst ressourcenschonend durchzukommen, was Zeit und Geld angeht. Früher habe er möglichst viele Spiele pro Tag angeschaut, doch das ist vorbei. «Bei vier Spielen pro Tag rennt man wirklich nur noch vom einen Platz zum nächsten, das ist nur zahlentechnisch interessant», sagt Niederer.
Mittlerweile schaue er in der Regel nur noch ein Spiel pro Tag. Oft mit seiner Freundin zusammen, manchmal aber auch mit anderen Groundhoppern. Sie würden sich immer austauschen, wer gerade wohin geht und wer allenfalls mitkommt. «Lustig ist, dass an einen Gurkenmatch im Nirgendwo oft mehr Leute mitkommen als etwa ins Mailänder San Siro. Da waren halt alle schon.»
In der Szene habe jeder und jede etwas andere Ziele. Eine Kollegin wolle etwa nur Länderpunkte sammeln, andere wollen irgendwie 10'000 Spiele schaffen, dann gebe es solche, die nur Stadtderbys sehen wollen, aber egal in welcher Stadt.
Nach München gehen alle
Das Gute am Groundhopping sei, dass man eben auch Orte entdecken könne, an die man sonst kaum gehen würde. «Jede und jeder Schweizer geht wahrscheinlich zehn oder fünfzehnmal im Leben nach München. Aber nach Karlsruhe geht wahrscheinlich niemand», sagt Niederer.
Auch er sei nur wegen des Groundhoppings dahin gekommen – um festzustellen, dass Karlsruhe eine echt tolle Stadt sei, die München in vielen Dingen kaum nachstehe. Und natürlich erlebe man auf diesen Reisen auch viel. Er sei zum Beispiel einmal stundenlang nach Polen gefahren für ein Spiel und wähnte sich bereits fernab jeglicher Zivilisation, als er nach dem Aussteigen noch eine Viertelstunde lang über einen verlassenen Kiesplatz gehen musste.
«Dann bog ich um die Ecke und lief einfach in jemanden rein, den ich kenne», sagt Niederer. «So etwas vergisst man natürlich nicht.»
Der Reiz des Zufalls
Auch wenn Niederer schon Hunderte Fussballspiele auf jedem möglichen Niveau gesehen hat, langweilig wird ihm das Groundhopping nicht: «Manchmal hat man eine grosse Erwartung an die Qualität eines Spiels, weil es grosse Namen sind – und wird enttäuscht. Oder man rechnet mit einer tollen Choreo, aber Fehlanzeige.»
Aber dann sei er bei einem Amateuerspiel in Österreich und plötzlich wolle eine Kuhherde übers Spielfeld. «Es sind solche Erlebnisse und die vielen Begegnungen mit Fans, die es spannend halten», sagt Niederer.
Manchmal sei auch einfach das Bier oder die Wurst sehr gut – oder schlecht. Aber wo mit was zu rechnen ist, das sei völlig offen und darum verschlägt es ihn halt auch mal zu einem Testspiel nach Tübach.