In der Stadt St.Gallen soll es ein Meldetool für Betroffene von sexueller, sexistischer und queerfeindlicher Belästigung geben. Das fordert zumindest die Stadtparlamentarierin Lydia Wenger in einer Interpellation. Wenger steht mit dieser Forderung nicht allein da. Die Interpellation wurde von 44 weiteren Mitgliedern des Stadtparlaments aus allen Parteien unterzeichnet.
Gemeint ist eine Plattform, wie sie die Städte Bern, Luzern und Zürich bereits kennen. In Zürich heisst das Tool «Zürich schaut hin». Auf der Website können Belästigungen, die selbst erlebt oder beobachtet wurden, anonym gemeldet werden. Die Betroffenen erhalten auf der Seite auch Informationen zu Anlaufstellen.
Mit Plattform kann ein Bild der Situation gezeichnet werden
Doch warum braucht es solch ein Tool? Laut Wenger sei eine solche Meldeplattform wichtig, weil solche Belästigungen oft passieren, aber nicht immer strafrechtlich relevant seien. Und selbst wenn sie es sind, passiert oft nichts. «Viele Betroffene gehen gar nicht erst zur Polizei, weil sie das Gefühl haben, der Vorfall sei nicht relevant oder schwerwiegend», erklärt Wenger. Auf der Plattform könnten solche Geschehnisse anonym festgehalten werden. «Dadurch ist die Tat hinterlegt und Betroffene fühlen sich ernster genommen», sagt Wenger.
Doch das ist nicht der einzige Grund, warum sich Wenger für eine solche Plattform stark macht. Es geht auch um Statistik. In der Schweiz gibt es gemäss der Stadtparlamentarierin nur sehr wenige Studien zu der Zahl von sexuellen Belästigungen. Mit den Daten der Plattform könnte man sehen, wie oft und wo solche Belästigungen passieren. «Dadurch kann auch die Prävention gezielt angepasst werden», findet Wenger.
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Stadtrat will Tool (noch) nicht
Beim Stadtrat findet der Vorschlag aber kein Gehör. Er argumentiert in seiner Antwort, dass es in der Stadt bereits Beratungs- und Meldestellen gebe, die sich unter anderem um sexuelle Belästigung kümmern. Konkret nennt er die Opferhilfe St.Gallen, die Fachstelle Maria Magdalena, die aber für Personen aus dem Sexgewerbe gedacht ist, die Abteilung Integration und Gleichstellung des Kantons St.Gallens sowie das Kinderschutzzentrum. Bei diesen eher hochschwelligen Angeboten kann man aber kritisieren, dass die Opfer selbst aktiv um die Informationen bemühen und sich melden müssen.
Ganz verwehren will sich der St.Galler Stadtrat aber nicht. Er stellt in Aussicht, dass er das Tool in Zukunft vielleicht doch noch einführt. Man wolle aber zuerst die Erfahrungen der anderen Städte abwarten.
Hier hätte sich Wenger mehr Mut gewünscht. Schliesslich gibt es das Tool in der Stadt Zürich seit 2021. Und dort bewähre sich dieses Instrument. Seit der Einführung wurden über 2000 Fälle gemeldet. «Meiner Meinung nach ist die Webseite genug etabliert, dass man sie auch in St.Gallen einführen könnte», hält die Stadtparlamentarierin fest.
Kosten als Ausrede?
Sie hat auch das Gefühl, dass es dem Stadtrat vor allem um die Kosten geht. Die Übernahme des Tools würde zwischen 15'000 und 20'000 Franken kosten. Hinzu kommen die Kosten für die Rahmenkampagnen, die ebenfalls mit etwa 35'000 bis 50'000 Franken zu Buche schlagen. Zudem müsste jemand für die Betreuung des Tools und der Kampagnen in einem Pensum von 40 bis 60 Prozent angestellt werden.
Wenger ist aber überzeugt, dass das Geld gut investiert wäre: «Diese Massnahme ist im öffentlichen Interesse, gerade weil sie auch präventiv wirkt. Die Stadt hat auch die Aufgabe, Leute für dieses Thema zu sensibilisieren, präventiv zu wirken und die Bevölkerung davor zu schützen. Das wird in meinen Augen in St.Gallen zu wenig gemacht.» Darum müsse nun das Geld in die Hand genommen werden.