Ostschweiz
St. Gallen

«Niemand hört im Nationalrat zu»

«Niemand hört im Nationalrat zu»

30.04.2018, 18:16 Uhr
· Online seit 30.04.2018, 17:19 Uhr
Sie ist die stillste Politikerin im Nationalrat: Die St.Gallerin Barbara Keller-Inhelder (SVP) hat, seit sie ins Parlament gewählt wurde, noch nie am Rednerpult gesprochen. Und das ganz bewusst. Sie prangert die Streitkultur an und wirbt für mehr Konsens.
Leila Akbarzada
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Die Sendung «19h30», das News-Programm des Westschweizer Senders RTS und Pendant zur «Tagesschau», publizierte am Sonntag eine Auswertung der Rededauer von Politikern und Politikerinnen im Parlament. Aufgefallen ist dabei eine Ostschweizer Politikerin: Die St.Galler Nationalrätin Barbara Keller-Inhelder ist die stillste Politikerin des Parlaments und hat sich seit Beginn ihrer Funktion als Parlamentarierin im Oktober 2015 noch kein einziges Mal hinter das Rednerpult gestellt. Und das bei keinem Tag Abwesenheit.

Bewusst keine Reden schwingen

«Es ist ein bewusster Entscheid. Als ich in Bern begann, stellte ich mit Überraschung fest, dass die Voten während der Session gar nichts nützen, da alle Entscheidungen schon vorher gefällt werden», sagt Barbara Keller-Inhelder im Interview mit FM1.

«Während der Session hat am Morgen punkt 8 Uhr jeder Nationalrat ein Protokoll der eigenen Fraktion auf dem Tisch. Dort steht drauf, wer wann wie abstimmt. Das wurde vorher entschieden», sagt die 49-jährige Politikerin. Man halte sich an dieses Protokoll, spontane Abweichungen gebe es sehr selten.

«Präsident hat ein Dezibel-Gerät»

«Ich sitze immer in diesem Saal. Stellen Sie sich vor: Es kommt eine Rednerliste zu einer Initiative mit 41 Rednern. Die Leute schauen auf die Uhr, rechnen aus, wie lange es dauert, und verlassen den Saal. Noch ein paar wenige und ich sind da. Niemand hört zu», so Keller-Inhelder. Kurz vor einer Abstimmung herrsche dann ein Riesentumult, weil alle zurückkommen. «Der Herr Präsident hat ein Dezibel-Gerät neben sich, und er schimpft ab und zu, weil die Dezibel-Grenze überschritten wird.»

«Eine Theatershow für Medien»

Sind somit die Reden während der Session reine Farce? «Ja, es ist leider eine kleine Theatershow für die Medien. Das finde ich soweit auch ok. Aber ich kritisiere, dass man untereinander im Vorfeld nicht mehr redet», sagt die Politikerin. Man müsste laut Keller-Inhelder eine vorberatende Komissionen haben, wie im Kantonsrat St.Gallen. «Wir brauchen Lösungen, und nicht gegenseitige Bekämpfungen, die zu Entscheiden führen, bei denen alle unzufrieden sind.»

Es sei erschreckend, zu sehen, was für wichtige Themen wie beispielsweise die Altersvorsorge so behandelt werden. «Man muss konsensführende Gespräche im Vorfeld führen, und sich nicht im Parlamentssaal bekämpfen.»

Gespräche im Vorfeld

Trotz Verschwiegenheit im Parlament: Dass sie eine «stumme Politikerin» sei, stimme nicht. «Ich rede dann, wenn es noch etwas nützt, und führe viele Gespräche mit Fraktionsvorsitzenden und Kollegen von anderen Fraktionen im Vorfeld von Traktanden, um Augen zu öffnen oder den Konsens zu finden. Und das, wenn es noch etwas bringt.»

veröffentlicht: 30. April 2018 17:19
aktualisiert: 30. April 2018 18:16
Quelle: bin/lak

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