Der Alkoholkonsum pro Kopf in der Schweiz sank in den vergangenen Jahren. Ganz im Gegenteil aber die Beratungen bei Alkoholproblemen. Die Suchtberatungsstelle Region Wil hat 2022 so viele Personen beraten wie noch nie zuvor. Um genau zu sein, nahmen in Wil im vergangenen Jahr 244 Personen Suchtberatung in Anspruch. Aber nicht nur bei den Alkoholberatungen gab es eine Zunahme, auch Beratungen im Zusammenhang mit Cannabis- und Kokainkonsum werden immer häufiger.
Worauf diese Zunahme genau zurückzuführen ist, lässt sich nicht eindeutig sagen. Einerseits könnte die aktuelle weltpolitische Lage für die Menschen belastend sein, andererseits könnte die Corona-Pandemie noch Nachwirkungen haben. Während der Pandemie waren die meisten Personen in ihren Häusern und soziale Kontakte waren eher selten. Viele Personen mit Suchtproblemen, die nach der Pandemie wieder am sozialen Leben teilnahmen, wurden sich so erst nach der Pandemie wieder der Auswirkungen ihrer Sucht bewusst. Ein weiterer Grund könnte die fortschreitende Enttabuisierung von Beratungsstellen in der Gesellschaft sein.
Vor allem ältere Personen greifen vermehrt zu Alkohol
«Perspektive Thurgau» bietet kantonsweit an sechs Standorten Suchtberatung an. Hier steigt die Nachfrage nach Beratungsangeboten kontinuierlich. Wie in der Region Wil, finden im Kanton Thurgau die meisten Beratungen im Zusammenhang mit Alkohol statt, gefolgt von Cannabis und Kokain. «Besonders bei älteren Personen fällt auf, dass diese vermehrt zu Alkohol greifen», sagt Urs Horisberger, Bereichsleiter Suchtberatung bei «Perspektive Thurgau». Im Zusammenhang mit der Einnahme von Medikamenten würden die gesundheitlichen Folgen des Alkoholkonsums zusätzlich verschlimmert. Cannabiskonsum sei vor allem bei jungen Erwachsenen ein Thema, wohingegen beim Kokainkonsum keine Altersgruppe heraussticht.
Stabile Lage in Appenzell Innerrhoden
Ein anderes Bild zeichnet sich im Kanton Appenzell Innerrhoden ab. Hier sind die Zahlen relativ stabil. Seit 2019 nutzen stetig rund 20 Personen das Suchtberatungsangebot, meistens aufgrund von Alkoholproblemen. Auch gebe es keine grossen Auffälligkeiten im Suchtmittelkonsum, immer häufiger werde aber der Mischkonsum, also der Konsum mehrer Substanzen gleichzeitig. «In ländlicheren Regionen ist zudem der Rauschkonsum von Alkohol verbreitet», sagt Vitus Hug, Bereichsleiter Beratungen beim Blauen Kreuz St.Gallen-Appenzell.
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Jugendliche sind zu experimentierfreudig
Weniger ruhig scheint die Lage bei den ausserrhodischen Nachbarn zu sein. Die Beratungsstelle für Suchtfragen Appenzell Ausserrhoden verzeichnete im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr einen deutlichen Anstieg von Suchtberatungen. Die Hälfte der Anfragen gehen zum Thema Alkohol ein, erneut gefolgt von Cannabis (19 Prozent) und Kokain (14 Prozent), wobei sich bei letzterem eine steigende Tendenz abzeichnet. Merklich zugenommen haben auch die Paarberatungen. Paare, bei denen eine der Parteien eine Suchtproblematik aufweist oder Eltern, die bei ihren Kindern ein Suchtverhalten bemerkt haben, nutzen die Beratungsangebote zunehmend. Rückblickend auf die letzten zwei bis drei Jahre sei zudem festzustellen, dass der Mischkonsum von Medikamenten sowie auch synthetischer Cannabinoiden auf dem Vormarsch sei. «Jugendliche zeigen sich zu einem hohen Preis experimentierfreudig, was alarmierend ist», schreibt die Beratungsstelle Appenzell Ausserrhoden auf Anfrage von FM1Today.
Nichtsdestotrotz liessen sich nicht alle Konsumtrends eins zu eins im Beratungsbereich abbilden. Obwohl zum Beispiel Jugendliche besonders auf die neuen Tabak- und Nikotinprodukte angesprochen werden, gebe es im Moment nur wenige Beratungsanfragen dazu.
Spielsucht ist schwer zu erkennen
In allen Kantonen ist immer auch Geldspielsucht ein Thema. Beratungen zu Spielsucht haben bei gewissen Beratungsstellen zwar zugenommen, vieles bleibt hier aber im Verborgenen. Vor allem auch aufgrund der vielen Online-Casino-Plattformen werden Spielsuchten oft nicht durch das soziale Umfeld erkannt.