Die heute 26-jährige Frau, die vor drei Jahren von ihrem Vater massiv angegriffen worden sein soll, erschien am Dienstag nicht zum Prozess. Sie reichte im Vorfeld einen unterschriebenen Brief ein, in dem stand, dass sie am Strafverfahren nicht interessiert sei. Sie wünsche sich nur, in Ruhe gelassen zu werden. Zu ihrem Vater habe sie mittlerweile keinen Kontakt mehr.
Quelle: tvo
Angeklagter ist vierfacher Familienvater
Der Vater, ein eher kleiner dunkelhäutiger Mann mit hellblauem Hemd und dunkelblauer Maske, verhielt sich ruhig vor Gericht. Der vierfache Familienvater wohnt seit zehn Jahren in der Schweiz, lebt seit einigen Monaten getrennt von seiner Frau und ist aktuell arbeitslos. Seine Befragung gestaltete sich schwierig, da der 47-Jährige kein Wort Deutsch spricht und auf eine Übersetzerin angewiesen war. Trotzdem war schnell klar, dass er die Tat abstreitet. «Ich wollte immer nur das Beste für meine Kinder. Ich habe meine Familie in die Schweiz geholt, damit wir hier in Frieden leben können und habe nie versucht, meine Tochter zu töten.»
Tochter sollte Cousin heiraten
Laut Anklageschrift traf sich der Beschuldigte im Mai 2018 zu einem Gespräch mit seiner Tochter, erst in St.Gallen, anschliessend beim Wohnort der Tochter in Rorschach. Der Grund der Unterhaltung war ihr Beziehungsstatus. Der Vater wollte offenbar, dass sie seinen Cousin heiratet. «In Eritrea werden die Ehen von den Familien arrangiert. Ich akzeptiere zwar, dass es in der Schweiz anders ist, trotzdem wollte ich, dass meine Tochter eine gute Wahl trifft. Das letzte Wort hätte dann aber sie gehabt», beteuert der Beschuldigte.
Hatte bereits Sex mit Freund
Die damals 23-jährige Hotelfachfrau, die ebenfalls in Eritrea zur Welt kam, wehrte sich gegen den Vorschlag ihres Vaters, da sie bereits in einer Beziehung mit einem Mann war. Bei einer Autofahrt von Rorschach nach St.Gallen offenbarte sie ihrem Vater dann, dass sie mit ihrem Freund schon Sex hatte. Darüber war der Angeklagte so erzürnt, dass er bei einem Autobahnzubringer in Mörschwil anhalten musste. «Ich war nicht wütend, weil meine Tochter schon Sex hatte. Sondern wegen der Art und Weise, wie sie mir es gesagt hat. Sie hat mich provoziert», erklärt der Eritreer.
Versteckte sich die ganze Nacht im Garten
Ab diesem Zeitpunkt gehen die Schilderungen des Beschuldigten und des Opfers auseinander. Aus den Aussagen der Tochter im Polizei-Protokoll geht hervor, dass der Vater aus dem Auto stieg, um eine Zigarette zu rauchen, sich anschliessend auf den Rücksitz des Autos setzte und der Tochter von hinten eine Kette um den Hals legte, um sie zu erdrosseln. Als die Tochter sich losreissen konnten, soll er sie mit blossen Händen weiter gewürgt haben. Laut Protokoll dachte die Tochter für einen kurzen Augenblick, sie würde ersticken. Sie konnte sich ein zweites Mal loswinden, flüchtet mit Todesangst aus dem Auto und rannte ein Wiesenbord hinauf. Dann versteckte sie sich bis zum nächsten Morgen in einem Garten.
«Meine Tochter kann sagen, was sie will»
Laut dem Angeklagten stimmen diese Ausführungen so nicht. «Ich habe das Auto nie verlassen, sondern bin hinter dem Steuer sitzen geblieben. Ich habe meine Tochter nur am Genick gepackt, weil ich so wütend war.» Der Beschuldigte streitet die Vorwürfe weiter ab, auch als der Richter ihm erklärt, dass es ein medizinisches Gutachten gibt, welches wegen der Blutergüsse beweist, dass das Opfer am Hals gewürgt wurde. «Meine Tochter kann sagen, was sie will. Ich weiss genau, was ich gemacht habe, und was nicht», sagt der Angeklagte. Welchen Grund die Tochter gehabt hätte zu lügen, kann der Beschuldigte nicht sagen. Nach dem Angriff soll der Angeklagte zur Wohnung seiner Tochter gefahren sein und habe dort ihren Pass, Schulunterlagen, Kleider und ihren Fernseher gestohlen.
«Ich bin geschockt»
Seltsam wird die Situation, als der Richter nochmals betont, dass die vorgeworfene Tat einen Landesverweis nach sich ziehen könnte. Der Angeklagte lacht darauf zum ersten Mal. «Ich bin geschockt», erklärt er seine Reaktion. «Ich kann nicht glauben, dass ich aus diesem Grund möglicherweise das Land verlassen muss. Ich habe ja nichts gemacht.» Enge Verwandte in Eritrea habe er keine mehr.
Verteidiger plädiert auf Freispruch
Die Staatsanwaltschaft fordert eine teilbedingte Freiheitsstrafe von drei Jahren und einen zehnjährigen Landesverweis. Die Verteidigung hingegen plädiert auf einen Freispruch. Auch, weil die Beweise für einen Schuldspruch nicht ausreichten. So wisse zum Beispiel niemand, wo die Kette sei, mit der der Beschuldigte seine Tochter angeblich habe erdrosseln wollen. Bei den ersten Einvernahmen seien ausserdem Formvorschriften missachtet worden und die Protokolle seien deshalb mit Vorsicht zu geniessen. Die Tochter habe auch mehrfach widersprüchliche Aussagen gemacht. Komme das Gericht zu einem anderen Schluss, so könne es gut sein, dass sie das Urteil weiterziehen werden. Das Urteil wird gegen Ende der Woche erwartet.