In den Debatten der Februarsession war die Rechtmässigkeit von zwei Vorstössen und einem Auftrag in Frage gestellt worden. In die Reihe hätte auch noch ein Kommissionsantrag zum Planungs- und Baugesetz gehört. Doch dieses Geschäft wurde zurückgewiesen und gar nicht beraten.
Ist diese Häufung von Fällen in der rechtlichen Grauzone Zufall? Eine generelle Zunahme sei nicht feststellbar, sagte Lukas Schmucki, Leiter der Parlamentsdienste, auf Anfrage von Keystone-SDA. Solche Fragestellungen gehörten vielmehr zum parlamentarischen Alltag.
Vorstoss versenkt
Einer der beiden rechtlich fragwürdigen Vorstösse war eine SVP-Motion, in der die Einführung des Gemeindemehrs bei kantonalen Abstimmungen verlangt wurde. Die Regierung verwies auf die Bundesverfassung, die die politische Gleichberechtigung der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger garantiere.
Vor der Debatte nahm Staatssekretär Benedikt van Spyk auf einen Antrag hin Stellung, ob die Motion überhaupt zulässig sei. Er sagte, dies könne erst im Rahmen der Umsetzung entschieden werden. Dieser Test erübrigte sich dann aber, weil der Vorstoss mit 74 gegen 33 Stimmen versenkt wurde.
Gegen das Völkerrecht
Anders war dies bei einer gemeinsamen Motion von Mitte-EVP und SVP. Die beiden Fraktionen wollten über eine Änderung im Sozialhilfegesetz erreichen, dass anerkannte Flüchtlinge ihren Wohnort im Kanton nicht mehr frei wählen können.
Die Regierung hielt den Vorstoss für «rechtlich nicht umsetzbar». Sie verwies auf die Genfer Flüchtlingskonvention und auf die in der Verfassung garantierte Niederlassungsfreiheit. Zudem dürften Flüchtlinge bei der Sozialhilfe im Vergleich zu Schweizern nicht anders behandelt werden.
FDP, Grüne, GLP und SP lehnten die Motion ab, weil sie nicht umsetzbar sei. Der Sprecher der Mitte-EVP-Fraktion, Mathias Müller (Lichtensteig), sagte in der Debatte, «wo ein Wille ist, ist auch ein Weg». In der Abstimmung setzten sich Mitte-EVP und SVP knapp mit 59 gegen 55 Stimmen durch.
Folgen noch unklar
Nun muss ein Gesetzesvorschlag ausgearbeitet werden. Noch ist offen, wieweit dies möglich ist. Grundsätzlich gibt es verschiedene Varianten: Die Regierung könnte dem Kantonsrat einen Entwurf zuleiten, der den rechtlichen Bedenken Rechnung trage, erklärte Schmucki.
Falls sich klar herausstelle, dass keine rechtlich zulässige Umsetzung möglich sei, könne die Regierung versuchen, «die Motion im Rahmen der jährlichen Berichterstattung über hängige gutgeheissene Vorstössen abzuschreiben».
Vor der Einreichung findet im Kantonsrat jeweils keine Überprüfung von Vorstössen statt. Es ist danach die Regierung, die die Rechtmässigkeit abklärt. Die Zulässigkeit kann grundsätzlich von der Regierung, vom Präsidium oder aus der Mitte des Rats bestritten werden. Es komme selten vor, dass auf Unzulässigkeit entschieden werde, so der Leiter der Parlamentsdienste. Viel eher trete der Rat einfach nicht auf einen Vorstoss ein.
Regierung wehrt sich nicht
Beim dritten strittigen Fall ging es um einen Auftrag der Kommission zum Finanzleitbild der Regierung. Darin wurden zusätzliche Einschränkungen bei der Staatsquote verlangt. Dieser Auftrag sei «formalrechtlich unzulässig», sagte Finanzchef Marc Mächler im Rat. Die Mehrheit überwies den Auftrag trotzdem, mit 60 gegen 41 Stimmen.
Im inzwischen aktualisierten Finanzleitbild findet sich nun aber der eigentlich nicht zulässige Auftrag als neue Zielvorgabe. Die Regierung hat entschieden, «den Mehrheitswillen des Kantonsrats in dieser Frage zu berücksichtigen und das Finanzleitbild mit einer Fussnote zu ergänzen», so Schmucki. Sie habe damit über die formelle Unzulässigkeit hinweggesehen und der inhaltlichen Auseinandersetzung den Vorzug gegeben.