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Zwei Personen sterben auf Pannenstreifen: 18 Monate bedingt für Unfallfahrer

Oberbüren

Zwei Personen sterben auf Pannenstreifen: 18 Monate bedingt für Unfallfahrer

12.02.2020, 18:48 Uhr
· Online seit 12.02.2020, 10:47 Uhr
Während sie sich um eine Panne auf der A1 bei Oberbüren kümmerten, sind zwei Männer vergangenen April angefahren und dabei tödlich verletzt worden. Am Mittwoch wurde der Unfallfahrer am Kreisgericht Wil zu einer 18-monatigen, bedingten Freiheitsstrafe verurteilt.
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Das Kreisgericht Wil spricht den Angeklagten der mehrfachen fahrlässigen Tötung schuldig und verurteilt ihn zu 18 Monaten bedingt. Somit folgt das Gericht der Anklage. Das Gericht lehnt eine «Aufteilung» der Strafe, wie von der Verteidigung gefordert, ab.

In vergleichbaren Fällen seien auch schon höhere Strafen ausgesprochen worden, führt das Gericht aus. Allerdings hätten das Verhalten direkt nach dem Unfall und im Nachgang, sowie die echte Reue des Angeklagten, zu einer Strafminderung geführt.

Quelle: TVO

Die Genugtuung stellte das Gericht vor grössere Probleme, als die Klärung des Sachverhalts, der grösstenteils eindeutig war. Die vom Gericht gesprochenen Beträge fallen kleiner aus, als gefordert. So erhält die Ehefrau des 24-jährigen Pannenhelfers eine Genugtuung von 20'000 Franken anstatt der gefordereten 50'000. 

Die restlichen Angehörigen erhalten kleinere vierstellige Beträge oder keine Genugtuung. Die Restforderungen müssen auf dem Zivilweg eingeklagt werden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Der Angeklagte gab von Anfang an alles zu

Der Beschuldigte gab bei der Befragung zu, am 3. April 2019 die Musik auf seinem Handy umgestellt zu haben. Aus diesem Grund sei er abgelenkt gewesen und nicht in seiner Spur geblieben. Auf die Frage des Richters, warum er denn die Musik nicht mit der Vorrichtung am Lenkrad gewechselt habe, entgegnet der Beschuldigte: «Sonst hätte ich nicht gewusst, welches Lied als nächstes kommt.»

Der Angeklagte sprach mit fester Stimme, er wirkte gefasst, als er schilderte, was vor fast einem Jahr auf dem Pannenstreifen beim Bürenstich passiert ist. Nach dem Überholen mehrerer Lastwagen sei er wieder auf die Normalspur gewechselt, um dort erneut die Musik auf seinem Handy umzuschalten. «Deswegen war ich abgelenkt und geriet auf den Pannenstreifen, dort kam es zur Kollision. Danach erlebte ich einen Schockmoment», sagte der heute 24-Jährige. 

Der Angeklagte rief die Rega

Er hielt weiter hinten auf dem Pannenstreifen an und begab sich zum Unfallort zurück. «Als ich sah, dass es Schwerverletzte gegeben hatte, rief ich die Rega und versuchte, den Verletzten zu helfen, mit ihnen zu reden und wartete auf die Rettung.»

Bei der Kollision auf dem Pannenstreifen wurde der ebenfalls 24-jährige Pannenhelfer in den 50-jährigen Mann geschleudert, der den Pannendienst gerufen hatte. Der Angeklagte muss mit rund 110 bis 115 Kilometern pro Stunde beinahe ungebremst in den Pannenhelfer gefahren sein. Nur auf anderthalb Metern konnten Bremsspuren festgestellt werden.

Beide Männer wurden schwer verletzt, der Pannenhelfer starb noch am gleichen Tag im Spital. Der 50-Jährige starb einige Wochen später an den Komplikationen der mehrfachen Operationen. 

Der Angeklagte beschönigte nichts, was auch die Staatsanwaltschaft würdigte: «Der Angeklagte hat von Anfang an reinen Tisch gemacht und gesagt, was Sache ist», führt der Staatsanwalt aus. Zudem sei dem Angeklagten die Reue anzumerken.  

Nie mehr hinters Steuer gesetzt

Der Beschuldigte liess den Familien über seinen Rechtsanwalt einen Brief zukommen. «Der Brief wurde angenommen, eine Reaktion gab es nicht», sagt der Angeklagte aus. Er befinde sich seit dem Unfall in psychiatrischer Behandlung: «Ich muss jeden Tag an den Unfall denken.» Seit dem Unfall habe er sich nicht mehr ans Steuer eines Autos gesetzt, nur schon das Mitfahren fühle sich komisch an. 

Der verstorbene 24-jährige Pannenhelfer hinterlässt unter anderem eine Ehefrau und seine Eltern. Der verstorbene 50-Jährige war ein verheirateter Familienvater, er hatte vier Töchter und einen Sohn. Beide Rechtsanwälte der Hinterbliebenen würdigten das Verhalten des mutmasslichen Täters im Nachgang zum Unfall. 

Obwohl der Brief des Täters nicht beantwortet wurde, sei dieser Positiv aufgenommen worden.

«Wer fehlerfrei Auto fährt, werfe den ersten Stein»

Die Verteidigung des Angeklagten stellte den Sachverhalt nicht in Frage. Auch hier wurde auf die Kooperation des Angeklagten verwiesen. Der Rechtsanwalt legte sein Augenmerk auf die Einordnung.

Der Anwalt der Verteidigung betonte, dass solche Momente der Unachtsamkeit menschlich seien. Ablenkungen gebe es im Strassenverkehr viele. Hier sei nun zufällig der schlimmste Fall eingetreten. Zudem führte der Anwalt aus: «Der, der fehlerfrei Auto fährt, werfe den ersten Stein.»

Zudem wurde in Frage gestellt, ob das Warnsignal nicht zu nahe beim Pannensignal aufgestellt wurde, und ob die Behebung der Panne direkt auf dem Pannenstreifen nicht ohnehin zu gefährlich war. 

Verteidigung wollte mildere Strafe

Die Verteidigung hingegen wollte nicht nur eine Reduktion, sondern auch eine Aufteilung der Strafe: Sechs Monate Freiheitsstrafe bedingt, dazu eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 60 Franken. Begründet wurde dies vor allem mit dem Verhalten und der Kooperation des Angeklagten.

Dies wurde vom Gericht beim Urteil auch berücksichtigt, obwohl beim Strafmass der Forderung der Staatsanwaltschaft stattgegeben wurde. Laut Ausführungen des Gerichts seien in ähnlichen Fällen aber schon härtere Strafen ausgesprochen worden. Die Kooperation des 24-jährigen brachte eine Reduktion der Strafe um drei Monate, die Hilfeleistung nach dem Unfall eine Reduktion um einen Monat. 

Absitzen muss der mutmassliche Täter die bedingte Strafe allerdings nur, wenn er sich in der Probezeit von zwei Jahren etwas zu schulden kommen lässt. 

veröffentlicht: 12. Februar 2020 10:47
aktualisiert: 12. Februar 2020 18:48
Quelle: FM1Today

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