Der Kanton Thurgau konnte mit dem Pharmakonzern Novartis eine Vereinbarung für eine Kostenbeteiligung für Solidaritätsbeiträge treffen, schrieb der Kanton Thurgau am Freitag in einer Mitteilung. Damit beteilige sich die Pharmaindustrie an rund einem Drittel der prognostizierten Kosten für die Opfer der Medikamententests.
In der psychiatrischen Klinik Münsterlingen wurden zwischen 1940 und 1980 nicht zugelassene Medikamente an unwissende Patientinnen und Patienten verabreicht. Verantwortlich dafür war der Psychiater Roland Kuhn, der als Entdecker des ersten Antidepressivums gilt.$
25'000 Franken für Direktbetroffene
Anspruchsberechtigt für ein Gesuch auf finanzielle Entschädigung von je 25'000 Franken sind gemäss einer Mitteilung des Kantons Thurgau Personen, denen im Zeitraum zwischen 1940 bis 1980 in psychiatrischen Kliniken im Kanton Thurgau aktenkundig Testpräparate verabreicht wurden. Allfällige Erben sind ausgeschlossen.
Aufgrund der bis anhin bekannten Fälle aus der psychiatrischen Klinik Münsterlingen schätzt der Kanton die Anzahl möglicher Gesuche auf maximal 500.
Moralische Mitverantwortung der Pharmaindustrie
2021 legte eine vom Kanton Thurgau in Auftrag gegebene wissenschaftliche Aufarbeitung die enorme Dimension der damaligen Tests mit Psychopharmaka in der Klinik Münsterlingen offen. Profitiert von den Versuchen an Menschen habe die Basler Pharmaindustrie. Novartis gilt als Nachfolgefirma der damals involvierten Unternehmen.
Da die Pharmaindustrie aus heutiger Sicht eine gewisse moralische Mitverantwortung trage, erwartete der Kanton Thurgau eine massgebliche Beteiligung an den Kosten, schrieb der Kanton in seiner Botschaft an den Grossen Rat. Das Departement für Finanzen und Soziales von Regierungsrat Urs Martin (SVP) habe entsprechende Verhandlungen mit der Pharmaindustrie geführt.
Regelung gültig bis 2033
Der Kanton Thurgau nimmt mit den Entschädigungen von Opfern damaliger Medikamententests eine schweizweite Pionierrolle ein. Die Auszahlungen von Solidaritätsbeiträgen regelt ein neues Gesetz, das 2025 in Kraft treten und befristet bis 2033 gültig sein soll.
«Viele betroffene Personen haben durch die Medikamententests psychisches und körperliches Leid mit negativen sozialen Folgen erlitten», schrieb der Regierungsrat in seiner Botschaft an das Kantonsparlament weiter. Dieses muss noch über das Gesetz beraten.
(sda/red.)