Diana Gutjahr hat ein paar Dinge für den Kampf gegen zwei Wochen Vaterschaftsurlaub auf dem Tennisplatz in Mailand gelernt, an einem warmen Frühlingstag. Diana, 14 Jahre alt, lag aussichtslos im Rückstand, 0:6, 0:5, 0:40, ein Ball noch, und alles wäre klar gewesen. Diana hatte sich, wie auch heute noch, die Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden und war, wie auch heute noch, sehr früh aufgestanden und hatte sich gewissenhaft auf den Turniertag vorbereitet.
Doch sie verlor nicht. «Da realisierte ich: Gewonnen oder verloren hast du erst, wenn der letzte Ball gespielt ist.» Morgen läuft die Frist für die Unterschriftensammlung für das Referendum ab. Alles, was davor ist, alles, was die anderen glauben, spielt keine Rolle. Auch wenn unklar ist, ob die 50'000 Unterschriften überhaupt zu Stande kommen.
Diana Gutjahr hat im Leistungssport früh gelernt, arbeitsam zu sein. Eine Stunde Zeit für die Hausaufgaben, statt ausschlafen um fünf Uhr morgens Reis und Fleisch zum Frühstück.
Und gelernt, worauf es ankommt, um nach oben zu kommen: Wenn ich etwas will, muss ich selber hinstehen. Zuhören. Kritik verarbeiten. Mich anstrengen, aber nicht zu verbissen, sonst blockierst du dich selbst. Lernen, zu kämpfen, auch wenn es aussichtslos ist. Sich selbst nicht überschätzen. Und vor allem: Freu dich nicht zu offen über deinen Sieg.
Jetzt sitzt die Thurgauerin Diana Gutjahr, 36 Jahre alt, seit 2017 SVP-Nationalrätin, Anwärterin für das Präsidium des Schweizerischen Gewerbeverbands, Aushängeschild der Familienfirma, in einem kleinen Eckbüro der Ernst Fischer AG in Romanshorn und schneidet sich ihre Pizza Hawaii vom Lieferdienst in mundgerechte Stücke.
Sie lacht ihr Lächeln, das alle kennen, ein Raum, der sich mit Tatendrang füllt, schier unendlich scheinende Energiereserven. Wie ist es nur möglich, dass ein Mensch wie sie sich so vehement gegen einen Vaterschaftsurlaub von zwei Wochen stemmt, wo doch halb Europa mehrere Monate Elternzeit für beide bewilligt? Eine Initiative eigentlich vier Wochen fordere? Nicht einmal der Arbeitgeberverband oder die SVP dieses Referendum unterstützt?
Jeden Mittag das Essen am Tisch der Eltern
Diana Gutjahr steht jeden Morgen um 5.30 Uhr auf, liest im Badezimmer die «Thurgauer Zeitung», trinkt einen Espresso und ist um 7 Uhr bei der Arbeit im Stahl- und Metallbau-Unternehmen Ernst Fischer, vom Vater aufgebaut, mehrheitlich Männer an grossen Maschinen. Zur Mittagszeit fährt sie mit ihrem Mann, der mit ihr das Unternehmen leitet und auf den Franken gleich viel verdient wie sie, zu ihren Eltern nach Hause.
Die Mutter kocht, obwohl sie das nicht gerne tut. Samstags macht Diana Gutjahr den Haushalt, Sonntagvormittag schläft sie aus, nachmittags geht sie ins Fitness. Und wenn Diana Gutjahr auswärts schläft, schläft sie nicht gut. Ihr Vater hat Diana den Weg geebnet, dem Einzelkind, er hat sie früh gefördert und auf die Nachfolge vorbereitet. Viele sehen darin eine Angriffsfläche, werweissen darüber, ob Diana Gutjahr fremdgesteuert ist.
Sie fragen sich, woher das Geld für die politischen Kampagnen kommt und wie die Beziehungen zum Thurgauer Patron und Stadler-Rail-Chef Peter Spuhler sind – die typischen Gerüchte, die aufkommen, wenn eine Frau mit Ausstrahlung umringt ist von Männern, die etwas zu sagen haben – diese Mischung zwischen Feminismus und gutem, altem Patronat.
Zwischen Diana Gutjahr als neuem Leuchtturm eines Landkantons, der sich als frisch und jung und weiblich verkaufen will, und Diana Gutjahr als Privilegierte, gefördert und gehalten von klaren Strukturen, einer aufopfernden Mutter und einem Vater, der sie fördert und leitet, bis sie alleine laufen kann.
Ihr politischer Erweckungsmoment sei 2003 die Bundesratswahl von Christoph Blocher gewesen, sie schaute sich die Wahl im Fernsehen an, im Schulunterricht an der Berufsschule in Weinfelden.
Diana wird mit 20 Ortsparteimitglied der SVP Amriswil, die Familie gehört keiner Partei an, nie geht sie an die Veranstaltungen, sie füllt nur die Wahlzettel aus. 2011 wird sie für die Kantonsratswahlen angefragt, als Listenfüllerin, und schafft es auf Anhieb.
Vielleicht mal Kinder – aber nicht nur zu Hause bleiben
Sie selbst sieht sich zuerst als Unternehmerin und erst danach als Politikerin, aber das sei auch richtig so, in der Milizpolitik. Plötzlich sitzt sie alleine an den Verhandlungstischen, ohne den Vater. 2014 legt sie bei der Masseneinwanderungs-Initiative ihrer Partei ein Nein in die Urne.
2015 wird sie von der kantonalen Partei angefragt, ob sie auf die Nationalratsliste wolle. Sie lanciert eine Wahlkampagne, eine der aufwendigsten im Kanton, sagen Beobachter – sie selbst entgegnet, Politik und Demokratie kosten eben Geld, das den regionalen Betrieben auch wieder zugutekomme. Sie verpasst die Wahl, rutscht 2017 dann aber nach. Und wird im Oktober 2019 mit Glanzresultat bestätigt.
Vielleicht haben Diana und ihr Mann irgendwann Kinder, sie schliesse das nicht aus, wolle aber auch nichts erzwingen, sagt sie auf der Fahrt nach Frauenfeld, während die Thurgauer Felder an uns vorbeiziehen. Für Gutjahr ist klar: Sie wird nicht zu Hause bleiben. Zu wichtig ist ihr ihre Arbeit, zu wichtig ist sie für dieses Unternehmen.
Sie wird sich dann mit ihrem Mann beraten und sie werden auf Augenhöhe entscheiden, wer wie oft und wie zu den Kindern schaut, sie werden zusammen eine Lösung finden und dann das Leben neu einrichten, strukturiert und organisiert. Sie sagt, die Eigenverantwortung der Frau sei eben auch, Gleichberechtigung einzufordern.
Der Respekt des Mannes für die Bedürfnisse der Frau komme nicht vom Staat, sondern, wenn sich die Frau hinstellt und sagt: Ich habe auch Bedürfnisse. Ich habe auch ein Leben. Auch deshalb wolle sie ein Referendum. Und, weil es alle Bürgerinnen und Bürger etwas angehe. «Alle müssten diese Sozialabgaben leisten.»
«Ist der Entscheid einmal gefällt, lässt er sich schwer wieder rückgängig machen.» Man müsse bereit sein, einzustecken und zu verzichten, für das, woran einem was liegt. «Wenn man den Leuten die Eigenverantwortung entzieht, nehmen sie sie nicht mehr wahr», sagt Gutjahr.
Eigenverantwortung ist das Wort, das in den Augen von Diana Gutjahr sehr eng an die Frage des Vaterschaftsurlaubs geknüpft ist. Selber schauen. «Ich will auch Gleichberechtigung, ich trage mein Mögliches dazu bei. Aber allein. Ich will nicht den Staat dafür rufen.» Die Familie sei die kleinste Zelle, das Nest, das es zu schützen gelte.
«Im Gegensatz zu Politik und Wirtschaft, wo es um Status geht, hast du innerhalb der Familie immer einen Wert. Du kannst sein, wer du bist.» Vielleicht sei es diese Angst, tief drin, dass niemand mehr zueinander schaue, wenn allen geholfen werde. Und das Wichtigste auseinanderbricht.