Schon seit längerer Zeit zählen nicht mehr die bestätigten Covid-19-Neuinfektionen zum ausschlaggebenden Kriterium für allfällige Corona-Massnahmenverschärfungen, sondern die Zahl der verfügbaren Intensivbetten. Immer wieder, besonders auf Social Media, werden die Behörden kritisiert, dass diese mitten in der Pandemie die Zahl der Betten auf den Intensivpflegestationen (IPS) abgebaut hätten und Spitäler geschlossen werden. Doch stimmt das tatsächlich und was sind die Hintergründe?
Wieso gibt es deutlich weniger IPS-Betten als noch im Frühling 2020?
Es ist tatsächlich so, dass es weniger Intensivbetten in den Spitälern gibt als noch im Frühjahr 2020. Es muss allerdings in Betracht gezogen werden, dass in der ersten Welle viele improvisierte Betten geschaffen wurden. «Wären diese Betten tatsächlich auch besetzt worden, hätte die Behandlungsqualität stark gelitten. Wäre der Bedarf darüber hinaus gestiegen, hätte das Gesundheitssystem in den Modus der Katastrophenmedizin umstellen müssen», schreibt die Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion des Kanton Berns in einem längeren Statement auf Facebook.
Zusätzliche Betten zu schaffen, wäre für die Behörden kein Problem, doch diese wären nicht zertifiziert.
Der Ausbau der Infrastruktur allein ist also nicht die Lösung des Problems.
Wieso wird Personal nicht umgeschult?
Ein weiterer Faktor für die Anzahl Intensivbetten ist der Personalbestand, respektive die verfügbaren Arbeitskräfte. Der Druck auf die Fachkräfte hat in der Pandemie stark zugenommen und zahlreiches Intensivpflegepersonal hat dem Beruf den Rücken zugekehrt (FM1Today berichtete). Zertifizierte IPS-Betten zu schaffen, hängt vor allem vom qualifizierten Personal ab.
Quelle: FM1Today/TVO
Am meisten fehlt es auf den Intensiv- und Notfallstationen an fachgerecht ausgebildetem Personal: «Diese Leute absolvieren eine achtjährige Ausbildung. Und genau dort laufen sie uns davon», sagt Barbara Dätwyler, Präsidentin des Berufsverbands Pflege Ostschweiz. Die Gründe: Burnouts, Schlafstörungen – weil während der Pandemie oftmals die Ruhepausen fehlen.
Wieso werden in der Krise (Ostschweizer) Spitäler geschlossen?
Es tönt absurd, dass mitten in einer grossen Gesundheitskrise Spitäler geschlossen werden. Unter anderem im Kanton St.Gallen schlossen in diesem Jahr die Spitäler Rorschach und Flawil. Experten rechnen damit, dass in den kommenden Jahren über die ganze Schweiz verteilt weitere Spitäler schliessen. Doch bei der genauen Betrachtung zeigt sich: In der Ostschweiz sind durch die Schliessungen keine Intensivbetten verloren gegangen. Denn die Patientinnen und Patienten, welche eine Intensivbehandlung benötigen, wurden bis anhin in St.Gallen, im Kantonspital, betreut.
Wieso ist eine IPS-Auslastung von 75 Prozent alarmierend?
Aktuell beträgt die Auslastung der Intensivstationen laut den Daten des Bundesamts für Gesundheit 76,3 Prozent. Ein Drittel der Intensivbetten wird dabei von Covid-19-Erkrankten besetzt. Im Kanton Thurgau beispielsweise beträgt die Auslastung beinahe 100 Prozent – knapp zwei Drittel davon sind Covid-19-Patientinnen und -Patienten. Die Pflege auf der Intensivstation braucht Fachkräfte und besonders bei Corona-Infizierten viel Zeit. Schon seit längerer Zeit ist klar, dass sich Patientinnen und Patienten, die sich mit Corona angesteckt haben, im Vergleich zu anderen Kranken viel länger auf der Intensivstation befinden.
Auch wenn einige Intensivplätze frei sind, braucht es ein gewisses Minimum an freier Kapazität. Zum Beispiel bei einem allfälligen Unfall mit mehreren Verletzten stünde man sonst vor einem medizinischen Versorgungsproblem, sagt Philipp Lutz, der Kommunikationsbeauftragte des Kantonsspitals St.Gallen.
(lae)