Quelle: Archivvideo vom 8. Juni 2022 / CH Media Video Unit / Katja Jeggli
Die beiden Beschuldigten werden sich ab dem 8. Juni vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona verantworten müssen: Der 86-jährige Joseph Blatter als einstiger Präsident des Weltfussballverbands Fifa mit Sitz in Zürich, und der 66-jährige Michel Platini als Ex-Präsident des europäischen Fussballverbands Uefa mit Sitz in Nyon.
Um was geht es?
Die Bundesanwaltschaft (BA) erhob im November 2021 Anklage. Im Mittelpunkt steht eine Zahlung von 2 Millionen Franken, welche die Fifa 2011 an Platini für angebliche Beraterdienste zwischen Juli 1998 und Juni 2002 überwiesen hatte. Die Zahlung war von Blatter gutgeheissen worden – mehr als acht Jahre nach Beendigung der Beratertätigkeit. Für die BA gibt es keine rechtliche Grundlage für diese Zahlung.
Wie der Anklageschrift zu entnehmen ist, hatte Platini ab 1999 auf der Grundlage eines Vertrages für seine vierjährige Beratertätigkeit bereits eine Entschädigung von 300'000 Franken pro Jahr erhalten. Die Zahlung erfolgte nach Rechnungsstellung ohne einen Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen.
Die BA ist überzeugt, dass die beiden Funktionäre «zu einem nicht bestimmbaren Zeitpunkt übereinkamen, dass Platini aus dem Vereinsvermögen der FIFA ein substanzieller, nicht geschuldeter Betrag zukommen sollte.» Die Beschuldigten selbst sprachen von einer aufgeschobenen Restzahlung von jeweils 500'000 Franken pro Jahr. Es habe eine mündliche Vereinbarung gegeben. Platini stellte aus Sicht der BA «eine fiktive Rechnung».
Welche Strafanträge stellt die Bundesanwaltschaft?
Ein wichtiges Detail: Bei der zweiten Tranche bezahlte die Fifa auch Sozialversicherungsbeiträge auf das Zwei-Millionen-Honorar von 229'000 Franken – wie bei einem Angestellten. Der Gesamtschaden zu Lasten der Fifa betrug demnach mehr als 2,2 Millionen Franken.
Blatter hat laut BA mit Arglist gehandelt. Der ihm unterstellte Finanzdirektor habe nicht von einer Täuschung ausgehen können, als er die Zahlungsanweisung ausgeführt habe. Die Zahlung war gemäss BA hingegen rechtswidrig und diente zur Bereicherung Platinis.
Die BA sieht den Tatbestand des Betrugs erfüllt und wird im Rahmen der Hauptverhandlung die Strafanträge stellen. Sollte das Gericht keine Arglist feststellen können, wird auf Veruntreuung oder auf ungetreue Geschäftsbesorgung plädiert. Zudem wird der Vorwurf der Urkundenfälschung erhoben.
Was sagen die Beschuldigten?
Die Beschuldigten haben die Vorwürfe stets zurückgewiesen. In einer kurzen schriftlichen Stellungnahme, die Keystone-SDA vorliegt, erklärt Joseph Blatter: «Ich blicke der Verhandlung vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona mit Optimismus entgegen.»
Die Lohnzahlung an Platini aus dem Jahr 2011 sei geschuldet gewesen. Der Vorgang sei korrekt deklariert, entsprechend abgerechnet und von allen zuständigen Instanzen der Fifa genehmigt gewesen. Blatter wird vom bekannten Rechtsanwalt Lorenz Erni verteidigt.
Platinis Verteidiger Dominic Nellen spricht seinerseits von einem politisch motivierten Vorgang, in dem es darum gegangen sei, Platini als Fifa-Präsidenten zu verhindern. «Das Verfahren gegen Herrn Platini ist das Ergebnis eines Komplotts», sagte er auf Anfrage von Keystone-SDA.
Wer sagt aus?
Es stellt sich die Frage, ob durch die Eröffnung des Strafverfahrens der Weg für Gianni Infantino frei gemacht werden sollte, der 2016 die Nachfolge von Blatter als Fifa-Präsident antrat.
Insgesamt werden sechs Zeugen befragt, darunter am zweiten Verhandlungstag Olivier Thormann, der damals die Leitung für Wirtschaftskriminalität bei der BA inne hatte. Inzwischen ist er selbst als Richter am Bundesstrafgericht tätig – als Präsident der Berufungskammer.
Nellen erklärt die Präsenz der zahlreichen Zeugen wie folgt: «Für die Hauptverhandlung sind Zeugen geladen, die die Bundesanwaltschaft im Vorverfahren trotz des Antrags der Verteidigung nicht einvernehmen wollte.»
Wann wird das Urteil bekanntgegeben?
Vom 8. Juni bis 22. Juni sind für die Hauptverhandlung vor der Strafkammer elf Verhandlungstage angesetzt. Allerdings wird jeweils nur am Vormittag debattiert – bis spätestens 13.30 Uhr. Der Gesundheitszustand von Joseph Blatter lässt maximal vier Stunden pro Tag zu. Am Mittwoch musste die Verhandlung aus diesem Grund abgebrochen werden. «Mir geht es nicht gut. Ich habe eine Beschwerde, die wieder zurückkommt», sagte Sepp Blatter während der ersten Verhandlung am Mittwochmorgen. Die Fifa tritt im Verfahren als Privatkläger auf und die Urteilseröffnung ist auf den 8. Juli festgelegt.
(sda/oeb)