Quelle: TeleZüri
«Die meisten Studentinnen wollen lieber einen erfolgreichen Mann als selber Karriere machen». Diese Schlagzeile sprang Leserinnen und Lesern der «SonntagsZeitung» vergangenen Sonntag entgegen.
Der Artikel greift eine Studie der Universität Zürich auf, bei der über 10'000 Studierende der UZH und der ETH befragt wurden. Das Ziel: Ergründen, warum Frauen seltener akademische Karriere machen als ihre männlichen Kommilitonen. Das Fazit: Frauen verzichten freiwillig auf eine Karriere. Nicht etwa, weil sie diskriminiert werden oder unter erschwerten Bedingungen leiden.
Studie führte zu vielen Medienberichten
Der Artikel löste ein riesiges Medienecho aus und sorgte für Diskussionen. Auch die Today-Redaktion berichtete darüber. «Das Leistungsmotiv ist bei mir nicht so ausgeprägt», sagte eine Studentin im Interview mit TeleZüri. Doch die Studie wie auch die Medienberichterstattung werden von vielen Seiten kritisiert.
Die Knackpunkte: Die Studie wurde noch nicht veröffentlicht und auch nicht peerreviewt – also von anderen Forschenden begutachtet.
Frauen wird eingeredet, dass sie diskriminiert werden
Soziologin Katja Rost und Wirtschaftsprofessorin Margit Osterloh leiteten die Studie. Osterloh erklärte das Resultat gegenüber der «SonntagsZeitung» folgendermassen: «Ich kann mir das nur damit erklären, dass den Frauen ständig eingeredet wird, sie würden diskriminiert.» Sie hätten Diskriminierung verinnerlicht, auch wenn sie sie selbst nicht erlebten.
Richtung der Kausalität ist unklar
Doch wollen die Frauen wirklich nicht? Oder führen die gesellschaftlichen Strukturen dazu, dass Frauen eine Karriere gar nicht in Betracht ziehen? «Wir können die Richtung der Kausalität nicht feststellen», schreiben die Autorinnen laut «watson» selbst in der Studie.
«Es gibt hier die Huhn-Ei-Frage»
Das kritisieren auch die Politikerinnen Min Li Marti (SP) und Kathrin Bertschy (GLP) gegenüber «watson». «Es gibt hier die Huhn-Ei-Frage», sagt Marti. Bertschy sagt: «Wenn die gesellschaftlichen Strukturen anders wären, würden Frauen vielleicht auch mehr arbeiten wollen und die Fragen anders beantworten.»
Die «SonntagsZeitung» sieht den Ursprung aber klar bei den Frauen, die nicht wollen.
Dass studierte Frauen nicht arbeiten würden, ist laut Politologe Michael Hermann denn auch falsch. Die Studienlage sei klar: In jeder Lebensphase arbeiten studierte Frauen am meisten.
«Studentinnen wollen lieber reichen Mann als Karriere». Es ist beelendend, wie 2 Profs und @rbandle es geschafft haben, dieses Thema auf eine reisserische Karikatur zu reduzieren. Fakt ist: die Erwerbsbeteiligung von studierten Frauen ist in jeder Lebensphase die höchste (1/3) pic.twitter.com/JgJzwphAvJ
— Michael Hermann (@mhermann_) May 9, 2023
Campax kritisiert Medienberichterstattung
Auch die Bürgerinnenbewegung Campax äussert sich in einem Video auf Twitter kritisch. «Ich bin hässig – und du?», heisst es darin. Wütend mache sie besonders die Berichterstattung zur Studie. Der Artikel sei haltlos, sexistisch und Teil einer medialen Kampagne gegen den feministischen Streik, der am 14. Juni stattfindet.
«Die Studie wird benutzt, um die Gleichstellung infrage zu stellen», sagt Campax-Campaignerin Virginia Köpfli in einem Zoom-Meeting, in dem die Bürgerinnenbewegung über Massnahmen zu Artikel und Studie brainstormt.
Ich bin hässig, du auch? Ein Artikel vom Tagi reproduziert wieder einmal Sexismus, basierend auf einer umstrittenen Studie.
— campax (@campaxorg) May 9, 2023
Komm morgen um 9.30 Uhr zu uns ins Büro oder via Zoom dazu, wir diskutieren, was wir dagegen machen können.https://t.co/0dj9Lq9y40#sexismus #stereotypen pic.twitter.com/kMaJV2pZda
«Es ist keine gute Recherchearbeit»
Köpfli kritisiert, dass Medien die Studie «inflationär zitieren» – und das, obwohl sie noch nicht publiziert wurde. Mehrere Medien hätten den Artikel der «SonntagsZeitung» unkritisch übernommen und die Resultate der Studie unreflektiert wiedergegeben.
Campax reicht Beschwerde beim Presserat ein
Dass die unklare Richtung der Kausalität in den Medien einfach ausgelassen wird, ist laut Köpfli «ein Mega-Skandal». «Es werden einfach sexy Schlagzeilen produziert», so Köpfli weiter. «So geht Journalismus nicht!» Deshalb hat Campax Massnahmen getroffen und eine Beschwerde beim Presserat eingereicht.
Offener Brief an TX-Group
Ausserdem startet Campax einen offenen Brief, der von allen unterschrieben werden kann. Er fordert, dass die TX-Group, zu der die «SonntagsZeitung» gehört, die journalistischen Standards sichern soll.
Die Studie selbst solle erst dann öffentlich diskutiert werden, wenn sie publiziert wurde, merkt Campax-Campaignerin Jenny Buchli im Zoom-Meeting an. «Das Hauptproblem ist der fehlerhafte Journalismus, der Daten verwendet und verfälscht, welche der Öffentlichkeit noch gar nicht zugänglich sind.»
Professorin fordert Lösungen für Frauen
Soziologieprofessorin Katja Rost sagte der «NZZ», sie habe sich vom medialen Echo zu ihrer Studie überrollt gefühlt. «Dass alle Frauen reiche Männer heiraten und nicht selbst Karriere machen wollen, stimmt ganz sicher nicht», erklärt sie. Die Studie zeige, dass Frauen und Männer unterschiedliche Wünsche hätten. Rost fordert deshalb Lösungen, damit Frauen eine berufliche Karriere anstreben.
Du willst keine News mehr verpassen? Hol dir die Today-App.