Schweiz

Corona: Die Altersheim-Bewohner hätten eine Entschuldigung verdient

Corona-Massnahmen

Die Altersheim-Bewohner hätten eine Entschuldigung verdient

05.09.2024, 08:10 Uhr
· Online seit 05.09.2024, 07:53 Uhr
Das Besuchsverbot in Altersheimen während der Pandemie sei nicht verhältnismässig gewesen, gibt der Bundesrat in einem Bericht zu. Diese Feststellung allein reicht nicht, meint Bundeshaus-Korrespondent Matthias Steimer.
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Im Grossen und Ganzen waren die Schweizer Corona-Massnahmen nachvollziehbar, die Behörden handelten meistens verhältnismässig, nach bestem Wissen und Gewissen. Hier aber sicher nicht: Bei der kompletten Abriegelung von Altersheimen verloren die Entscheidungsträger jedes Mass. Nun räumt auch der Bundesrat in einem Bericht ein, die Massnahme sei nicht verhältnismässig gewesen und es habe Leid gegeben.

Vitale Interessen wurden ignoriert

Um es klarer zu sagen als der Bundesrat: Die Massnahme war – im Gegensatz zu anderen – eine nicht zu rechtfertigende Missachtung von Menschenrechten. Die Hoch- und Höchstbetagten wurden über viele Wochen bis sogar Monate hinweg in Altersheimen eingesperrt. Sie durften weder ausgehen noch Besuch empfangen. Sie wurden von ihren Angehörigen zwangsgetrennt. Um sie als besonders Verletzliche vor dem Virus zu schützen, argumentierten die Behörden. Tatsächlich konnte Corona für viele alte Menschen gefährlich sein. Andere vitale Interessen wurden jedoch völlig ignoriert. Für viele, gerade für Demente, sind regelmässige Treffen mit Vertrauten pures Lebenselixier, ohne welches sie zumindest seelisch zugrunde gehen können. Lebensqualität ist für die Bewohnerinnen und Bewohner, denen naturgemäss nur noch relativ wenig Zeit bleibt, ein absolut kostbares Gut.

Die Behörden machten es sich einfach

Die meisten hätten wohl das Risiko einer Ansteckung der langandauernden kompletten Isolation vorgezogen. Aber weder die Betroffenen noch die Angehörigen wurden gefragt. Dass diese Wahlfreiheit nicht bestand, ist inakzeptabel. Die Behörden machten es sich einfach und übernahmen vom Ausland das Besuchs- und Ausgangsverbot. Rasch wurde klar, dass sich deswegen in den Heimen menschliche Tragödien abspielten, medizinische auch. Trotzdem hielten die Behörden viel zu lange an der totalitären Massnahme fest. Nicht einmal Treffen mit Maske an der frischen Luft wurden zugelassen.

Rechtsstaatliche Entgleisung

Dass das Quasi-Kontaktverbot ein Fehler war, gibt der Bundesrat nun zu - in sachlicher Weise. Im Rahmen eines vom Parlament in Auftrag gegebenen Berichtes. Jetzt, da ein Grossteil der Opfer dieser rechtsstaatlichen Entgleisung bereits verstorben sein dürfte. Der Bericht und reumütige Interviews mit Daniel Koch reichen nicht. Eine wahrhaftige offizielle Entschuldigung von höchster Stelle wäre das Mindeste, was die betroffenen Menschen verdient hätten. Auch als Zeichen dafür, dass so etwas nicht mehr passieren darf. Der Bundesrat stellt immerhin in Aussicht, es ein nächstes Mal besser zu machen. Und wenn doch nicht, gibt es im Nachhinein wohl wieder einen Bericht.

veröffentlicht: 5. September 2024 07:53
aktualisiert: 5. September 2024 08:10
Quelle: Bundeshaus-Redaktion

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