Eigentlich ist es eine gute Nachricht: Die AHV steht finanziell besser da als bislang vermutet. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hat fehlerhafte Formeln in seiner Software entdeckt, die sich quasi gegenseitig hochschaukelten. Deshalb wurden die Ausgaben bis 2033 zu hoch eingeschätzt. Das BSV hat sich um bis zu 4 Milliarden Franken «verrechnet».
Der Berechnungsfehler werde sich erst ab 2027 signifikant auswirken, betonte BSV-Direktor Stéphane Rossini am Dienstag. Der politische Streit aber begann schon während der Medienkonferenz. Nur wenige Minuten nach ihrem Beginn forderte die SP die Bürgerlichen in einer Mitteilung auf, «ihre Abbaupläne bei den Renten endlich zu stoppen».
Die FDP auf der Gegenseite konstatierte ein «Chaos» im Innendepartement und nahm die zuständige SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (und ihren Vorgänger Alain Berset) ins Visier. Die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) von National- und Ständerat sollten diese «für die AHV präzedenzlose Fehlleistung» sofort untersuchen, fordert die FDP.
Seit Jahren Streit um AHV
Der Schlagabtausch war absehbar. Um die erste Säule der Altersvorsorge tobt seit Jahren ein politischer Streit. Die Linke will sie stärken und konnte dabei mit dem Ja zur 13. AHV-Rente im März einen epochalen Triumph feiern. Die Bürgerlichen wiederum warnen wegen der Demografie vor Finanzlücken und fordern deshalb ein höheres Rentenalter.
Im September 2022 errangen sie mit dem hauchdünnen Ja zur AHV 21, mit der das Frauenrentenalter 65 eingeführt wurde, ihrerseits einen Erfolg. Nun fordern die SP Frauen aufgrund des Prognosefehlers eine Wiederholung der Volksabstimmung. «Die AHV hat kein Finanzierungsproblem!», heisst es kategorisch in einer Medienmitteilung.
AHV rutscht ins Minus
Es ist eine gewagte Behauptung, denn mit der ab 2026 ausbezahlten «Bonus-Rente» rutscht die AHV-Rechnung ins Minus, Softwarefehler hin oder her. «Es braucht eine Zusatzfinanzierung», sagte BSV-Chef Rossini, ein ehemaliger Walliser SP-Nationalrat. Über eine mögliche Wiederholung der Abstimmung über die AHV 21 wollte er nicht spekulieren.
Einen solchen Präzedenzfall gibt es: 2019 ordnete das Bundesgericht erstmals die Wiederholung einer Volksabstimmung an. Drei Jahre zuvor war die Volksinitiative der damaligen CVP zur Heiratsstrafe knapp gescheitert. Dann zeigte sich, dass der Bund die Zahl der betroffenen Ehepaare in den Abstimmungsunterlagen viel zu tief angegeben hatte.
Zusatzfinanzierung hat es schwer
Zur Wiederholung kam es nicht, weil die CVP ihre Initiative zurückzog. Im konkreten Fall dürfte es die Forderung der SP Frauen schwer haben, auch weil die AHV 21 bereits in Kraft gesetzt wurde. Schwierig wird es auch für die von Baume-Schneider beantragte Finanzierungsvorlage für die 13. Rente via Lohnabzüge und Mehrwertsteuer.
SVP und FDP lehnen sie ab. Sie wollen die Finanzierung in der nächsten AHV-Reform regeln, die der Bundesrat aufgrund eines Parlamentsentscheids bis 2026 vorlegen muss. Die bessere Finanzlage der AHV verleiht ihnen Rückenwind. Baume-Schneiders Zusatzfinanzierung wird besonders im Ständerat auf erheblichen Widerstand stossen.
Bürgerliche in der Defensive
Faktisch aber sind die Bürgerlichen in der Defensive. Geht es der AHV besser als erwartet, nimmt der Leidensdruck ab. Das wird sich auf die Diskussion über ein höheres Rentenalter auswirken. Die Bürgerlichen werden sich gut überlegen, wie weit sie gehen wollen. Denn schon das Frauenrentenalter 65 wurde wie erwähnt nur sehr knapp angenommen.
Das Stimmvolk reagiert empfindlich auf alles, was irgendwie nach «Rentenklau» aussieht. Deshalb dürfte sich der BSV-Flop auch auf die Abstimmung am 22. September über die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) auswirken. Die AHV-Rechnung spielt dabei keine Rolle, dennoch werden es die Befürworter der komplexen Vorlage noch schwerer haben.