Von Badi-Wetter war in den letzten Tagen keine Spur. Regen und Temperaturen unter 20 Grad bescherten Herbstgefühle. Dass der Sommer aber alles andere als vorbei ist, soll sich diese Woche zeigen. Ab Dienstag geht es stetig aufwärts mit den Temperaturen. In der zweiten Wochenhälfte prognostizieren die Wetterdienste Sonnenschein und Temperaturen bis zu 28 Grad.
Für die Schülerinnen und Schüler, die noch die letzten Wochen der Sommerferien geniessen, sind das gute Nachrichten. «Danke für nichts», werden sich hingegen einige Berufstätige denken, die ihre letzten Ferientage in der Schweiz mit ein paar Badi-Besuchen krönen wollten.
Dennoch soll auch werktags mehr als ein Feierabend-Bädli drinliegen – zumindest, wenn es nach dem deutschen Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer geht.
Fokus solle auf der Leistung liegen
In einem Post auf dem Business-Netzwerk Linkedin plädiert Carsten Maschmeyer für die Vertrauensarbeitszeit. «Wer um 15 Uhr seine Ergebnisse gebracht hat, muss nicht bis 18 Uhr im Büro die Zeit absitzen», schreibt Maschmeyer. Der Fokus solle auf der Arbeitsleistung liegen und nicht auf der reinen Arbeitszeit.
An alle Führungskräfte richtet der Unternehmer folgenden Appell: «Konzentriert Euch auf Arbeitsergebnisse und nicht darauf, ob jemand ‹nine to five› erreichbar oder am Platz ist.» Wer heute noch nach dem veralteten Motto «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» handle, werde seine Mitarbeitenden – zu Recht – verlieren.
«Mehr Ferien oder temporäre Arbeitszeitreduktion»
Die Vertrauensarbeitszeit hat in der Schweiz aktuell noch einen schweren Stand. Der Gewerkschaftsdachverband Travail Suisse geht aufgrund einer repräsentativen Befragung im Rahmen des Barometers Gute Arbeit davon aus, dass 42 Prozent der Arbeitnehmenden bei der Arbeitszeit keine oder nur eine sehr geringe Gestaltungsmöglichkeit haben.
Travail Suisse verweist zudem auf Daten aus der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE). «Hier zeigt sich, dass 52 Prozent der Arbeitnehmenden einen fixen Beginn und ein fixes Ende des Arbeitstages vorgegeben haben», sagt Thomas Bauer, Leiter Wirtschaftspolitik, zur Today-Redaktion. Zähle man die Arbeitnehmenden mit Blockzeiten dazu, hätten mindestens 70 Prozent der Arbeitnehmenden ziemlich sicher nicht die Möglichkeit, um 15 Uhr aus dem Büro zu gehen.
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«Damit Arbeitnehmende mehr Zeit in der Badi verbringen können, wäre sicherlich eine Erhöhung der minimalen Anzahl Ferienwochen von 4 auf 6 Wochen oder eine temporäre Arbeitszeitreduktion bei gleichem Lohn sinnvoll», sagt Bauer. Bereits im Frühling forderte Travail Suisse sechs Wochen bezahlte Ferien im Jahr plus eine Überzeit-Grenze.
Gefahr der Selbstausbeutung bestehe
Besonders bitter ist das sommerliche Wetter für Mitarbeitende, die ihre Zeit im Büro oft «absitzen» müssen. «Es kann in gewissen Fällen vorkommen, dass Angestellte im Büro die Zeit ‹einfach absitzen›, obwohl sie ihre Arbeit bereits erledigt haben», bestätigt Hansjörg Schmid, Mediensprecher von Angestellte Schweiz.
Schmid stimmt Carsten Maschmeyer zu. «Er hat recht, dass es auf das Resultat einer Arbeit ankommt und nicht auf die Zeit, die man dafür gebraucht hat.» Dies allerdings zum Preis, dass Angestellte mehr Eigenverantwortung wahrnehmen müssten.
Angestellte Schweiz sehe jedoch eher die Gefahr, dass Angestellte sich im Falle einer Vertrauensarbeitszeit selbst ausbeuteten, sagt Schmid. «Wenn sie wie im Beispiel von Carsten Maschmeyer bereits um 15 Uhr mit ihrer Arbeit fertig sind, dann beginnen sie oft einfach eine neue Aufgabe und arbeiten bis am Abend daran. Das ist nicht, was Carsten Maschmeyer beabsichtigt.»
Schmid fordert deshalb, dass Führungskräfte klar kommunizieren, dass Vertrauensarbeitszeit nicht so gemeint sei. Darauf müssten sich die Angestellten verlassen können. «Dann funktioniert Vertrauensarbeitszeit für beide Seiten.»
«Kommt sicherlich vor, dass Mitarbeitende Arbeitszeit absitzen»
Bei schönstem Wetter vor dem Computer sitzen und bis zum Feierabend Däumchen drehen – dieses Szenario hält auch der Schweizerischen Arbeitgeberverband nicht für realitätsfremd. «Es kommt sicherlich vor, dass Mitarbeitende ‹Arbeitszeit absitzen›, obwohl sie augenblicklich nichts mehr zu tun haben», sagt Daniella Lützelschwab, Ressortverantwortliche Arbeitsmarkt. «Dies gilt insbesondere bei fixen Arbeitszeiten.»
Laut Lützelschwab entspricht dies auch dem heutigen Ansatz im Arbeitsgesetz, das noch auf die Stunden abstellt, die jemand leistet. Würden weniger Stunden gearbeitet, sei gemäss dem gesetzlichen Ansatz die Leistung nicht voll erbracht worden, weil die Mitarbeitenden ihre Zeit dem Arbeitgeber zur Verfügung stellten und dieser diese bezahlte.
Geht es nach dem Arbeitgeberverband, ist Vertrauensarbeitszeit grundsätzlich wetterunabhängig. Stattdessen sei sie Ausdruck von der Idee, dass der Arbeitgeber seinen Mitarbeitenden ein Mitwirkungsrecht bei der Gestaltung der Arbeitszeit und der Arbeitserledigung einräume und dafür auch die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zu einem grossen Teil delegiere. «Im Winter oder im Sommer kann Vertrauensarbeitszeit passend sein.»
Mehr Flexibilität dank Gleitarbeitszeiten
In Unternehmen mit Gleitarbeitszeiten dürften längere Badi-Besuche werktags problemlos drin liegen. Etwa die Schweizerische Post bietet gleitende Arbeitszeiten an. Dieses Modell werde vor allem von Büromitarbeitenden genutzt, die sich ihre Arbeitszeit selbst einteilen könnten, sagt Silvana Grellmann, Mediensprecherin der Schweizerischen Post. «Das bedeutet, dass ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin selbst darüber entscheidet, früher Feierabend zu machen.» Bei Bedarf könne er oder sie auch früher oder später mit der Arbeit starten oder länger Mittag machen. «Immer dann, wenn es die Arbeit erlaubt.»
Bei der Digitec Galaxus AG arbeiten fast alle Angestellten im Gleitzeit-Modell, wie der Onlinehändler auf Anfrage angibt. «Damit möchten wir unseren Mitarbeitenden mehr Gestaltungsspielraum und Flexibilität ermöglichen – damit sie eben nicht ihre Zeit im Büro absitzen müssen», sagt Mediensprecherin Seraina Cadonau.