Wer heute eine Hausärztin sucht, muss je nach Wohnort warten. Viele Praxen sind überlastet und nehmen keine neuen Patientinnen auf. Tausende Hausärzte stehen kurz vor der Pensionierung, der hierzulande ausgebildete Nachwuchs wird diese Lücke in der Zukunft nicht füllen können. Die Schweiz rekrutiert darum fleissig Fachkräfte aus dem Ausland. Die zuständige Behörde des Bundes hat letztes Jahr 3364 ausländische Arztdiplome anerkannt, die Zahl steigt kontinuierlich.
Dieser Praxis will das Parlament nun einen Riegel schieben. Der Numerus clausus, die Aufnahmeprüfung zum Medizinstudium, soll abgeschafft werden. Mit einer deutlichen Mehrheit von 32:9 Stimmen hat der Ständerat am Montagabend einem entsprechenden Antrag zugestimmt. Weil der Nationalrat bereits Ja gesagt hat, ist das Ende des Numerus clausus nun beschlossen.
An der Aufnahmeprüfung scheitern jährlich zwei von drei Personen, die Medizin studieren wollen. Die Zahlen sind eindrücklich. 2022 haben sich auf 2172 Studienplätze 6147 Personen beworben.
100 Millionen für 400 Plätze
Bundesrat Guy Parmelin erklärte, es sei besorgniserregend, dass die Schweiz zu wenige Ärzte ausbilde. Er verstehe darum das Anliegen. Trotzdem warb der Bildungsminister für die Ablehnung der Forderung und versuchte allzu grosse Hoffnungen zu dämpfen: Alleine mit der Abschaffung der Prüfung sei die Ausbildung zusätzlicher Ärztinnen und Ärzte nicht geschafft. «Die Anzahl der klinischen Studienplätze ist begrenzt, darum können nicht alle zugelassen werden, die studieren wollen», erklärte Parmelin.
Unterstützt wurde er nur von Kommissionssprecher Matthias Michel: Der Zuger FDP-Ständerat argumentierte, der Bund stelle über die Bildungsbotschaft bereits zusätzlich 50 Millionen Franken für die Ausbildung von Humanmedizinern bereit. Wer den Numerus clausus abschaffen wolle, müsse sich bewusst sein: Der Bund wird weitere finanzielle Verantwortung übernehmen müssen – und das in Zeiten üppiger Sparprogramme.
Welcher Effort nötig ist, um zusätzliche Ärztinnen und Ärzte auszubilden, lässt sich am Sonderprogramm ablesen, das der Bund ab 2016 mit 100 Millionen Franken unterstützte, um die Diplome in der Humanmedizin von 900 auf gut 1300 im Jahr 2025 zu erhöhen. Das Ziel ist noch nicht erreicht, die Schweiz bildet aktuell knapp 1200 Ärztinnen und Ärzte aus. Laut Parmelin werden es 2025 tatsächlich 1300 Personen sein.
Die Gegner des Aufnahmetests liessen sich nicht beirren. Mitte-Ständerätin Marianne Maret bezeichnete die zusätzlichen Plätze als «erfreulich». «Sie reichen aber nicht.» Als Grund nannte sie auch die Teilzeitarbeit, die unter Ärzten immer verbreiteter sei. «Wir können die Verantwortung nicht aufs Ausland abschieben, die Schweiz muss die Ärzte selber ausbilden.»
Die Studienplätze vermehren sich nicht plötzlich
Doch was hat das alles mit der Art der Aufnahmeprüfung zu tun? Sehr viel, erklärte Mitte-Ständerätin Andrea Gmür. «Der Numerus clausus prüft rein kognitive Fähigkeiten, aber eine Ärztin muss auch soziale und kommunikative Kompetenzen haben, sowie über Resilienz und Belastbarkeit verfügen.» Das werde heute nicht getestet. Der Fokus soll auf jenen Studierenden liegen, die den Beruf auch ausüben wollen. Gmür verlangt «zwingend neue Massstäbe», etwa ein Praktikum, das die Eignung der Studenten prüft.
Auch darum findet FDP-Ständerat Hans Wicki, eine Selektion sei erst nach zwei Jahren Studium angebracht. Heute fänden allzu viele ausgebildete Ärzte ihre Work-Life-Balance nicht und würden sich trotz teurem Studium für einen anderen Beruf entscheiden. Und auch zu allfälligen Mehrausgaben des Bundes meinte er: «Konsequenterweise müssen wir Gelder sprechen. Wir müssen Prioritäten setzen.»
Bildungsminister Guy Parmelin versuchte vergebens, noch Gegensteuer zu geben: «Wir können die Auslandabhängigkeit senken, aber nicht lösen.» Weil viele Ärzte den Beruf aufgeben, seien zusätzliche Ärzte aus dem Ausland auch weiterhin nötig. «Deshalb müssen auch die Arbeitsbedingungen der Ärzte verbessert werden.»
Der Auftrag ist indes klar: Der Bundesrat muss eine Alternative zum Numerus clausus präsentieren.