Schweiz

«Kronzeuge» mitschuldig am Tod des IV-Rentners

«Kronzeuge» mitschuldig am Tod des IV-Rentners

22.01.2018, 12:31 Uhr
· Online seit 22.01.2018, 12:01 Uhr
Überraschende Wende im Thurgauer Monsterprozess gegen mutmassliche Mitglieder einer kriminellen Organisation: Der «Kronzeuge» ist als einziger am Tod des IV-Rentners von Kümmertshausen schuldig.
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Drei Mitangeklagte - mutmassliche Mitglieder einer kriminellen Organisation, die Drogenhandel, Menschenschleusungen und Erpressungen betrieb - wurden am Montag vom Bezirksgericht Kreuzlingen TG vom Vorwurf der vorsätzlichen Tötung freigesprochen. Die Anklage hatte ins Feld geführt, der Iraker und die beiden Türken hätten den IV-Rentner beseitigen lassen.

Mitwisser zum Schweigen bringen

Ziel des Überfalls vom November 2010 auf den IV-Rentner in Kümmertshausen sei tatsächlich gewesen, den unbequemen Mitwisser zum Schweigen zu bringen, sagte der Richter am Montag bei der Eröffnung der Teilurteile gegen die vier Hauptbeschuldigten. Der IV-Rentner habe gedroht, die Bande auffliegen zu lassen, weil ein Freund von ihm wegen Menschenschleusungen im Gefängnis sass.

Das Gericht gehe aber nicht davon aus, dass die beiden gedungenen Schläger - zwei Kriminaltouristen aus der Türkei - den Auftrag hatten, den IV-Rentner zu töten. Vielmehr hätten sie den Mann einschüchtern und bei ihm Geld stehlen sollen, sagte der Richter. Den Auftrag dazu gab laut dem Gericht der Hauptbeschuldigte, ein 48-jähriger Iraker, der als Kopf der Bande gilt und einschlägig vorbestraft ist.

«Kronzeuge» war Polizeispitzel

Die Staatsanwalt hatte die Anklage gegen die drei Mitbeschuldigten auf die Aussagen eines 39-jährigen Türken gestützt. Dieser «Kronzeuge» war zur Tatzeit als Polizeispitzel tätig und am Tatort dabei. Das Gericht gibt nun aber diesem «Kronzeugen» als einzigem die Schuld am Tod des 53-jährigen Opfers und verurteilte ihn am Montag wegen eventualvorsätzlicher Tötung durch Unterlassung.

Der 39-Jährige wurde noch im Gerichtssaal verhaftet und musste die Urteilsbegründung in Fussfesseln mitverfolgen. Der Beschuldigte habe dem Opfer nicht geholfen, als es mit einem Knebel im Mund und an Händen und Füssen gefesselt auf dem Boden lag und das Bewusstsein verlor, sagte der Richter. Er habe den Tod des IV-Rentners in Kauf genommen.

Heroin im Haus

Am Monsterprozess, der bisher 42 Verhandlungstage umfasst, gab der «Kronzeuge» an, er sei nur zum Einfamilienhaus des allein lebenden Mannes mitgegangen, weil der IV-Rentner 2,5 Kilogramm Heroin für die Bande aufbewahrt habe. Dass es im Haus Heroin gab, glaubte das Gericht ihm jedoch nicht. «Es gibt keine Hinweise dafür», sagte der Richter.

Eine erste Verurteilung des 39-jährigen wegen Gehilfenschaft zu vorsätzlicher Tötung hob das Bundesgericht auf, weil die Mitbeschuldigten dadurch vorverurteilt worden wären. Die zuständigen Staatsanwälte wurden wegen Befangenheit abgesetzt. Gegen sie läuft ein Strafverfahren.

Das Gericht musste zahlreiche Beweismittel für ungültig erklären. Trotz eines sehr umfangreichen Indizienprozesses mit bisher 42 Verhandlungstagen könne das Tötungsdelikt wohl nie geklärt werden, sagte der Richter vor der Urteilseröffnung am Montagmorgen.

Die Urteile beziehen sich lediglich auf Schuld oder Unschuld der vier Hauptbeschuldigten. Die Höhe der Strafen wird später verhandelt. Die Teilurteile sind nicht anfechtbar.

Hier eine Übersicht über die Urteile:

von Ida Sandl und Tim Naef/Tagblatt

«Der Kronzeuge» (39 Jahre alt, kurdischer Türke)

Vorwürfe: Gehilfenschaft zur vorsätzlichen Tötung

Er wurde bereits in einem abgetrennten Verfahren zu fünf Jahren Haft verurteilt. Das Bundesgericht sah die Abtrennung als nicht rechtmässig, das Urteil wurde deshalb aufgehoben, und er musste sich nochmals mit den anderen Beschuldigten im Prozess verantworten. Die Anklage im Tötungsdelikt stützt sich zum grossen Teil auf seine Aussagen, was ihm den Titel des Kronzeugen eingebracht hat.

Verdikt des Gerichts:

Schuldig der eventualvorsätzlichen Tötung durch Unterlassung. Zudem wurde er wegen Raubes und qualifizierten Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz für schuldig befunden.

Der Beschuldigte wurde noch im Gerichtssaal festgenommen.

«Der Boss» (48 Jahre alt, Iraker)

Vorwürfe: Mittäterschaft zur vorsätzlichen Tötung.. Menschenschleusung, Erpressung, Drogendelikte.

Er soll den Auftrag zur Tötung des IV-Rentners gegeben haben. Sitzt im vorzeitigen Strafvollzug.

Verdikt des Gerichts:

Freispruch der vorsätzlichen Tötung.

Schuldig der Anstiftung zum Raub in Zusammenhang des Tötungsdelikts.

Schuldig des Menschenschmuggels, der mehrfachen versuchten qualifizierten Erpressung sowie Nötigung.

«Der Schweigsame» (54 Jahre alt, kurdischer Türke)

Vorwürfe: Mittäterschaft zur vorsätzlichen Tötung, mehrfache qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Er wurde vom Kronzeugen schwer belastet. Hat psychische Probleme und soll mit Heroin gehandelt haben.

Verdikt des Gerichts:

Freispruch der vorsätzlichen Tötung.

Schuldig der Gehilfenschaft des Raubes in Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt. Zudem wurde er für schuldig der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetzes.

«Der Spieler »(47 Jahre alt, Türke)

Vorwürfe: Mittäterschaft zur vorsätzlichen Tötung, versuchte schwere Körperverletzung, mehrfache qualifizierte Erpressung, mehrfache qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Sitzt im vorzeitigen Strafvollzug. Er soll mit dem Bandenboss den Auftrag zur Tötung des IV-Rentners gegeben haben. Vor seiner Verhaftung organisierte er vor allem Glücksspiele in den einschlägigen Lokalen.

Verdikt des Gerichts:

Freispruch der vorsätzlichen Tötung.

Schuldig der Nötigung, der mehrfachen versuchten qualifizierten Erpressung sowie der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetzes.

Indizienprozess mit vielen Widersprüchen

Nach der Urteilsverkündung hielt der Richter fest, dass es ein äusserst schwieriger Fall gewesen sei. Es habe wenige Geständnisse gegeben, die Beschuldigten hätten sich gegenseitig beschuldigt. Da zudem einige Beweise nicht rechtsgültig erhoben wurden, durften diese im Prozess nicht verwendet werden.

 

veröffentlicht: 22. Januar 2018 12:01
aktualisiert: 22. Januar 2018 12:31
Quelle: SDA

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