Quelle: FM1Today/Marija Lepir
Der Monat Juni steht wie jedes Jahr ganz im Zeichen des Regenbogens. Im Pride Month macht die LGBTQIA+-Community auf ihre Anliegen aufmerksam. Obwohl mit der «Ehe für alle» ein Meilenstein erreicht wurde, liegt noch immer viel Arbeit vor der Community. Denn diese Menschen erfahren noch immer Ausgrenzung und Hass.
«Ich habe viele Freunde, die wegen ihrer Sexualität keine Wohnung bekommen oder Probleme bei der Arbeit haben. Ein Freund musste kürzlich seinen Job verlassen, weil ihn sein Chef gemobbt und beleidigt hat», erzählt Santiago Arnosti. Der 24-jährige St.Galler gehört ebenfalls zur LGBTQIA+-Community und wohnt heute in Zürich. Er selbst hat noch keine krassen homophoben Erfahrungen gemacht. Aber Beleidigungen auf offener Strasse und böse Blicke sind auch für den Make-up Artist keine Seltenheit. «Wenn ich in der Ostschweiz unterwegs bin, werde ich viel öfter beleidigt als in Zürich.» Ihm gehe das mittlerweile aber nicht mehr so nah. «Von Leuten, die andere Leute fertig machen, halte ich sowieso nichts. Ich bin super zufrieden mit mir.»
Auf Social Media geht Santiago auf humorvolle Weise mit dem ernsten Thema um:
@kweensanti YEAH, I’m gonna live forever🌈✨🎉 #fypシ #pridemonth #gaypride #gay ♬ Fame - Irene Cara
Aufklärung muss in der Schule beginnen
Gleichgesinnte Freunde aus der Community hätten Santiago dabei geholfen, sich selbst zu finden und zu akzeptieren. Auch sein Outing, so sagt er, hätte ihm grösstenteils keine Probleme bereitet. Dieses Glück haben jedoch nicht alle queeren Menschen.
Gerade junge Menschen würden sich ausserhalb der eigenen vier Wände sehr schwer damit tun, sich jemandem anzuvertrauen, sagt Eva Büchi, Lehrerin an der Kantonsschule Kreuzlingen und Co-Präsidentin des Vereins Queer Thurgau, welcher sich politisch und gesellschaftlich für die Anliegen der LGBTQIA+-Community engagiert.
So sieht Eva Büchi auch den grössten Handlungsbedarf in den Schulen: «Aus Umfragen weiss man, dass die Schule für Kinder und junge Menschen der gefährlichste Ort ist.» Teilweise würden es die Kinder schon im Kindergarten merken, dass sie anders sind, sie trauen sich aber nicht, das jemandem zu erzählen. Den Eltern würden sie sich vielleicht noch anvertrauen, doch in der Schule oder Pfadi ginge das nicht. Spätestens ab der Oberstufe müsse Aufklärung und Sensibilisierung stattfinden.
Aktuell ist Eva Büchi in Gesprächen mit der Pädagogischen Hochschule Thurgau (PHTG). «Die PH muss die künftigen Lehrpersonen ausbilden, damit sie keine Berührungsängste gegenüber dem Thema haben. Aber auch für ausgebildete Lehrpersonen sollte es Pflicht sein, entsprechende Kurse zu absolvieren.» Eine einmalige Aufklärung reiche aber nicht aus. «Das Thema sollte fester Bestandteil des Studiengangs werden.»
Diese Meinung teilt auch Santiago Arnosti. In der Schule habe er sich mit seiner Sexualität alleine gelassen gefühlt: «Man lernt in der Schule nur, wie Mann und Frau Sex haben und wie man verhütet. Das hat mir aber nicht viel gebracht. Man hat mich nie darüber aufgeklärt, was passiert, wenn ich mit einem Mann schlafe oder welche Krankheiten es gibt.»
Ein grosser Schritt in diese Richtung ist die Gründung der «Arbeitsgruppe Vielfalt», an der Eva Büchi an der Kanti Kreuzlingen beteiligt ist. «Wir machen nicht nur Sexualität, sondern auch Rassismus und Behinderungen zum Thema.»
Viele Baustellen offen
Der Verein Queer Thurgau zählt aktuell rund 50 Mitglieder und ist nicht nur eine Anlaufstelle für die Community,sondern engagiert sich politisch und gesellschaftlich. Aktuell wird auf diverse Ziele hingearbeitet.
Ab dem 1. Juli können dank der «Ehe für alle» auch gleichgeschlechtliche Paare heiraten. Die Trauungen sollen im Thurgau nur Pfarrer und Pfarrerinnen «ohne innere Widerstände» durchführen, damit der schönste Tag im Leben tatsächlich zu dem wird. Bereits an Schulen gibt Queer Thurgau Workshops und möchte dies auch für den Konfirmandenunterricht anbieten.
Mit der Thurgauer Fachstelle für Sexualaufklärung «Perspektive Thurgau» hat sich Queer Thurgau darauf geeinigt, dass LGBTQIA+-Themen auf der Webseite aufgeführt werden. «Es darf nicht sein, dass eine Fachstelle im Auftrag des Kantons Aufklärungsunterricht an Schulen betreibt und sexuelle Orientierung enttabuisierten sollte, diese stattdessen aber tabuisiert.» Bislang findet man auf der Homepage keine Begriffe wie «Homosexualität, lesbisch, schwul oder trans».
Auf politischer Ebene soll das Verbot von Konversionstherapien und die Hate Crime-Statistik – die Erfassung von Übergriffen auf LGBT-Personen – erneut aufs Tapet gebracht werden. Bislang blieb jeder politische Versuch erfolglos.
Eva Büchi und Santiago Arnosti sind sich einig: Die Community hat schon viel erreicht, doch trotzdem liegt noch ein weiter Weg vor ihr. Wie es Santiago als homosexueller Mann geht und was er sich von der Gesellschaft wünscht siehst du oben im Video.