Als Rolf Järmann 1993 beim Amstel Gold Race an den Start ging, war sein Leistungsausweis schon beachtlich. Er hatte sich mit Etappensiegen bei den grossen Rundfahrten einen Namen gemacht. Bei der Tour de France gewann er 1992 das längste Teilstück Richtung französische Alpen nach einer Flucht über 140 Kilometern. Und auch beim Giro, der Tour de Suisse und der Tour de Romandie hatte er schon Etappen für sich entschieden. Aber an einem wichtigen Eintagesrennen schlug er an jenem Samstagnachmittag erstmals zu.
Als erster Schweizer entschied Järmann das Amstel Gold Race, den einzigen niederländischen Rad-Klassiker, für sich. Er verdiente sich den Sieg mit einer Mischung aus offensiver, frecher Fahrweise und intelligentem Taktieren. Mal für Mal versuchte der 27-Jährige, sich vom Feld zu lösen. Eine erste Spitzengruppe mit dem Thurgauer wurde 70 Kilometer vor dem Ziel gestellt. Aber er war wieder dabei, als sich die Favoriten in Position brachten; 18 Kilometer vor Maastricht - damals im Gegensatz zu heute der Ankunftsort des 250 Kilometer langen Rennens - konnte nur Järmann mit dem zweifachen Weltmeister Gianni Bugno mitziehen.
Die zwei letzten verbliebenen Sieganwärter fuhren Rad an Rad. Der Italiener mit dem Regenbogentrikot mehrheitlich vorne, Järmann in seinem Windschatten, um Kräfte zu sparen. Dem Verfolger und Aussenseiter fiel auf, dass Bugno wie gewohnt eine sehr grosse Übersetzung fuhr. «Ich schaltete etwas kleiner, da ich wusste, dass die Strasse zum Ziel leicht anstieg», erzählte Järmann hinterher. Auf der Schlussgerade setzte der Arboner zum Sprint an und hielt Bugno um Zentimeter in Schach.
«Ich wollte endlich einmal ein Eintagesrennen als Profi gewinnen. Ein kleineres hätte mir eigentlich schon genügt, jetzt wurde halt ein Weltcupsieg daraus», freute sich Järmann und blickte voraus: «Es riecht nach mehr Siegen.» Als er sechs Jahre später zurücktrat, hatte er 28 Siege gesammelt, darunter einen zweiten Erfolg beim Amstel Gold Race (1998).
Dass ein Teil seiner Siege mit Hilfe von Dopingmitteln zustande kam, gab er kurz nach dem Ende seiner Laufbahn zu. Anonym schilderte er zunächst die Praktiken in den Neunzigerjahren, die Verbreitung von EPO, seine Gewissensbisse, ehe er kurz darauf mit seinem Namen zum Gesagten stand. Zu diesem Zeitpunkt war den Experten längst klar, von wem das anonyme Dopinggeständnis stammte. Die Doping-Beichte ist auf Järmanns Homepage noch aufgeschaltet, genauso wie das Tagebuch, in dem er die letzten drei Jahre seiner Karriere dokumentierte.
Heute berichtet Järmann nicht mehr über Radrennen, sondern über seine Touren mit dem Wohnmobil. In einem bemerkenswerten Blog schreiben er und seine Frau Anita über ihre Reisen, geben Tipps aller Art und führen Statistiken. Über 100'000 Kilometer hat das Paar im Wohnmobil zurückgelegt und dabei 26 Länder bereist, auch die Niederlande, das typische Rad- und Wohnmobil-Land, war schon mehrfach Destination der Järmanns.