Herr Theunert*, kürzlich störte sich eine junge Frau an zwei Männern, die auf Gäste beim Sünnele in der tagsüber Frauen vorbehaltenen Frauenbadi der Stadt Zürich starrten. Wie würde ein Mann in der Situation der Besucherin reagieren?
Auch Männer werden nicht gerne angestarrt. Klar, weibliche Körper und nackte Haut haben auf heterosexuelle Männer eine Anziehungskraft – und umgekehrt. Entscheidend ist die Qualität des Blicks.
Was heisst das konkret?
Es gibt einen Unterschied zwischen Hinsehen und Starren. Hinsehen verstehe ich als Ausdruck von Zuwendung und Interesse. Beim Starren hingegen durchbricht jemand mit dem Blick den geschützten Raum einer Person, deren Integrität. Es ist keine Zuwendung zu einem anderen Menschen, sondern das Begaffen eines «Objekts». Anders gesagt: Sobald sich eine Person mit einem Blick nicht mehr wohlfühlt, sind die Grenzen zum Starren überschritten. Die beiden Männer bei der Frauenbadi haben definitiv eine Grenzüberschreitung begangen. Sie sind mit ihrem Blick zum Zweck der eigenen Erregung oder zumindest Unterhaltung in einen geschützten Raum eingedrungen.
Es gibt so gut wie keine Fälle von Badi-Spannerinnen. Warum fallen immer Männer damit auf?
Buben lernen im Laufe ihres Aufwachsens viel stärker als Mädchen, dass sie Grenzen ausloten und auch überschreiten dürfen. Das bleibt nicht ohne Folgen. Aufdringliches Starren ist auch eine Machtdemonstration.
Manche User verteidigen das Anstarren beinahe als Recht. Jemand schrieb etwa: «Wie weit sind wir eigentlich, wenn mann nicht mehr schauen darf.» Verstehen Sie das?
Da wird so getan, als gäbe es keinen Unterschied zwischen Schauen und Starren. Solche Männer sagen übersetzt: «Ich habe als junger Mann gelernt, dass ich Frauen zum Lustobjekt machen darf, weil das damals der gesellschaftliche Konsens war.» Es wurde zum Beispiel auch lange toleriert, die Kellnerin Fräulein zu nennen oder ihr sogar den Po zu tätscheln. Aber nur weil etwas lange Zeit die Norm war, heisst das noch lange nicht, dass es okay war. Solche Kommentare bringen vor allem zum Ausdruck, dass jemand die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Es ist ein trotziges Beharren auf männlichen Privilegien.
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Manchmal fällt auch der Kommentar, dass Frauen mehr Stoff tragen könnten, wollten sie weniger Blicke anziehen.
Das ist ein völlig deplatzierter Tipp. Solche Aussagen machen eine Täter-Opfer-Umkehr. Das ist dasselbe, wie wenn man sagt: «Die Frau muss sich bei dem kurzen Mini, den sie trug, nicht wundern, dass sie vergewaltigt wurde.» Es gibt keine Berechtigung, bei einer Person Grenzen zu verletzen, weil sie ein bestimmtes Aussehen hat oder bestimmte Kleider trägt.
Warum trauen sich Männer in Zeiten von MeToo überhaupt noch, zu spannern?
Einerseits erstaunlich, ja. Andererseits ist Spannern für manche Männer vielleicht gerade wegen MeToo attraktiv. Wenn sich jemand als antifeministischer Rebell inszenieren will, kann es verlockend sein, mit einer solchen Grenzverletzung zu provozieren.
Wie lässt sich dieses Problem lösen?
An der Wurzel! Reine Verhaltensappelle reichen
nicht. Wir müssen uns bewusst sein: Wir lassen die Buben und Männer heute
völlig allein mit der epochalen Aufgabe, all die widersprüchlichen
Männlichkeitsanforderungen irgendwie unter einen Hut zu bringen. Das ist eine
Überforderung. Damit Männer herausfinden, wie sie fair und gern Mann sein
können, braucht es Unterstützungsangebote und Bildungsarbeit: in der Schule, in
der Arbeitswelt, in der Armee.
Das Spanner-Duo verschwand erst, als die Besucherin der Frauenbadi sie wiederholt dazu aufforderte. Was hilft sofort, um Spanner zu vertreiben?
Grundsätzlich würde ich empfehlen, sofort die Verantwortlichen zu involvieren. Geht es dem Spanner um eine Machtdemonstration, ist eine wütende Reaktion eher kontraproduktiv. Am ehesten lernt der Spanner etwas daraus, wenn eine Zurechtweisung dafür sorgt, dass er sich ertappt fühlt und mit seinen Schamgefühlen konfrontiert ist.