Seit 35 Jahren liest und beurteilt Alain Griffel, Rechtsprofessor an der Universität Zürich, Texte von Studierenden der Rechtswissenschaften. Was er dabei erlebt, findet er bedenklich. Viele Studierenden fehlt es an elementaren Qualifikationen in Sachen Orthografie, Grammatik und Kommaregeln.
Defizite müssen ausgemerzt werden
Er bezeichnet Formulierungen und Satzbau als ungelenk bis fehlerhaft, schreibt die «SonntagsZeitung». Zur Schreibkompetenz der Studierenden findet er klare Worte: «Wir bewegen uns heute sprachlich zwei Etagen tiefer – gewissermassen im Untergeschoss», so Griffel.
Der Rechtsprofessor legt den Studentinnen und Studenten nahe, diese Defizite aufzubessern. «In einem juristischen Beruf werden Sie so nicht tätig sein können», sagt Griffel.
Nicht nur bei den Jus-Studierenden in Zürich haperts mit der Schreiberei. Auch Marianne Heer spricht aus Erfahrung. Sie ist ehemalige Oberrichterin und langjähriges Mitglied der Luzerner Anwaltsprüfungskommission und Lehrbeauftragte an den Universitäten Bern und Freiburg. Die stilistischen Fehler und mangelnde Orthografiekenntnisse bezeichnet sie als «krass».
Sensible Sprache, falsche Rechtschreibung
Defizite sind auch bei Germanistik-Studierenden zu beobachten, schreibt die «SonntagsZeitung». Zwar seien sie durchaus sensibel was die Sprache angeht. Statt sich aber an Orthografie und Rechtschreibung zu halten, werde mehr Wert darauf gelegt, dass diskriminierende oder ausschliessende Bezeichnungen vermieden werden. Das sagt Professor Nicolas Deterin, Direktor des Instituts für Germanistik an der Universität Bern.
Dass so viele Studierende Mühe mit den Regeln der deutschen Sprache haben, könne an ihren Vorkenntnissen liegen. An Gymnasien werde viel diskutiert und gelesen, aber weniger Gewicht auf Grammatik gelegt.
Skalpell statt Brotmesser
Diktate und schriftliche Arbeiten würden bereits auf Primarstufe vernachlässigt und Rechtschreibefehler nicht konsequent korrigiert, um die Schülerinnen und Schüler nicht zu frustrieren, sagt Yasmine Burgeois, Schulleiterin einer Primarschule in Zürich.
An Gymnasien müssen Schülerinnen und Schüler, die Defizite in diesen Bereichen haben, Stützkurse besuchen. Ob diese Massnahmen greifen, wird sich in zwei Jahren zeigen. Auch an Hochschulen gibt es bereits Programme, um der schlechten Rechtschreibung entgegenzuwirken.
«Die Sprache ist unser wichtigstes Arbeitsinstrument», sagt Rechtsprofessor Alain Griffel. Ein Chirurg greife ja auch zum Skalpell und nicht zu Brotmesser, vergleicht der Professor die Bedeutung der Sprache treffend.
Die Schuld nur bei den Schülerinnen und Schülern zu suchen, ist laut Griffel falsch. Viele Lehrpersonen würden die Grammatik selber nicht mehr beherrschen und diese folglich auch nicht korrekt unterrichten.
(roa)