Das wird wohl nicht allzu lange dauern. Läuft alles nach Plan, wird der 20-jährige Leclerc nach der Lern- und Angewöhnungsphase bei Alfa Romeo Sauber seine Karriere schon bald bei Ferrari fortsetzen. Das Engagement im Zürcher Oberland wird nur Zwischenstation sein. In Hinwil soll nach Kimi Räikkönen und Felipe Massa der nächste Rohdiamant auf dem Weg nach Maranello geschliffen werden.
Wann die vorgesehene Rochade vollzogen wird, ist noch nicht festgelegt. Es ist nicht auszuschliessen, dass der Monegasse schon nach dieser Saison zur Scuderia weiterziehen und dort Räikkönen als Teamkollegen von Sebastian Vettel ablösen wird. Der Entscheid wird unter anderem von der Situation auf dem «Fahrermarkt» abhängen. In diesem Jahr läuft beispielsweise der Vertrag von Daniel Ricciardo mit Red Bull aus.
Gedanken über eine Beförderung Leclercs zum Stammfahrer von Ferrari entspringen nicht der in der Formel 1 überdimensional grossen Gerüchteküche. Sie sind Teil der Strategie, die die Chefs der Roten mit Leclerc seit dessen Aufnahme ins firmeneigene Förderprogramm vor zwei Jahren verfolgen. Mit dem Gewinn der Meistertitel in der GP3-Serie und in der Formel 2 hat der Hochbegabte in den vergangenen zwei Saisons das Vertrauen im optimalen Umfang gerechtfertigt. Leclerc, im Normalfall ein Fahrer der ruhigeren Sorte, gibt sich entsprechend selbstbewusst. «Ich habe in den letzten zwei Jahren alles gezeigt, was ich habe beweisen müssen. Ich bin bereit für die Formel 1.»
Leclerc hat trotz seiner Erfolge schwere Zeiten hinter sich. Die letzten drei Jahre waren auch von Tod, Trauer und Tränen geprägt. Mit Jules Bianchi, der im Juli 2015 den neun Monate zuvor im Grand Prix von Japan zugezogenen Kopfverletzungen erlag, verlor er einen seiner besten Freunde, im Juni 2017 verstarb sein Vater Hervé im Alter von erst 54 Jahren. Ihm widmet er seither jedes Rennen und jeden Sieg.
Vater Hervé und Jules Bianchi. Ohne sie würde es den Formel-1-Fahrer Charles Leclerc nicht geben. Hervé Leclerc war der erste Förderer seines Filius, die Familie Bianchi war zur Stelle, als seine Karriere zu Ende schien, bevor sie richtig begonnen hatte. Leclerc war 13 Jahre alt, als der Entscheid, Renneinsätze im Kart-Sport auch ausserhalb von Frankreich zu bestreiten, die Kosten in die Höhe schnellen liess. Hervé Leclerc und die damaligen Sponsoren waren nicht mehr in der Lage, den finanziellen Aufwand zu stemmen. Im Gegensatz zu den betuchten Zuwanderern aus aller Herren Länder sind in Monaco nicht alle Einheimischen auf Rosen gebettet.
Auf der von Jules Bianchis Vater Philippe betriebenen Kart-Bahn in Brignoles im Hinterland der Côte d'Azur war einst Charles Leclercs Interesse am Rennsport geweckt worden. Schon im Alter von viereinhalb Jahren drehte er dort seine ersten Runden. Aus dem Hobby wurde Leidenschaft. Dass aus dieser Leidenschaft eine Karriere aufgegleist werden konnte, dafür sorgte Jules Bianchi mit der Empfehlung an seinen Manager Nicolas Todt, den begabten Kumpel unter seine Fittiche zu nehmen. Die vor sieben Jahren begonnene Zusammenarbeit mit Charles Leclerc hat sich längst auch für den Sohn von FIA-Präsident Jean Todt zu einer lukrativen Partnerschaft entwickelt.
Leclercs Marktwert wird weiter steigen. Davon überzeugt ist auch Frédéric Vasseur, der Teamchef der Equipe Alfa Romeo Sauber. Der Franzose weiss seit längerer Zeit um die Qualitäten des Emporkömmlings, denn mit ihm hat er schon einmal zusammengearbeitet. Meister in der GP3-Klasse vor zwei Jahren war Leclerc als Fahrer des Teams ART geworden. Den Rennstall hatte Vasseur 2005 zusammen mit Nicolas Todt gegründet.
Bei ART waren unter vielen anderen auch Nico Rosberg, Lewis Hamilton und Sebastian Vettel tätig gewesen. Vasseur hatte ihnen also den Weg zum Weltmeistertitel in der Formel 1 vorgespurt. Bei Leclerc soll es in die gleiche Richtung gehen. Sofern denn alles nach Plan verläuft.