Womöglich wären die Modernen Fünfkämpfer ohne Skandal und globalen Aufschrei durch diese Spiele gekommen, hätten die Spiele in Tokio mit Zuschauer stattgefunden. Die «Hau-Drauf»-Kommentare der deutschen Bundestrainerin Kim Raisner wären irgendwo in der Ambiance verschwunden, verschluckt von den «Ohs» und «Ahs» der Zuschauer, die Zeugen eines olympischen Dramas geworden wären. Raisners Aufforderung hätte dies nicht unbedenklicher gemacht, aber die 48-Jährige und Reiterin Schleu wären eben auch nicht zum Inbegriff alles Bösen aufgestiegen.
Ohne Zuschauer aber wurden die Kommentare von den TV-Mikrofonen eingefangen, in der Welt gehört und über die sozialen Medien verbreitet, wo Meinungen schnell gemacht und oft nur in schwarz oder weiss existieren. Vor Ort in Tokio wurde Raisner vom Weltverband der Modernen Fünfkämpfer vom Olympia-Wettbewerb ausgeschlossen, in der digitalen Welt prasselten Kritik und Hasskommentare auf sie und Schleu ein. So intensiv, dass sich der Berufsverband der Trainerinnen und Trainer im Deutschen Sport einschaltete. Der Verband betonte zwar, dass das Verhalten der beiden «falsch» gewesen sei und «zu Recht öffentlich kritisiert» werde, verlangte aber nach einem «fairen Umgang» mit ihnen.
Auch die Schweiz hatte ihre Debatte
Unterdessen meldeten sich auch die fehlbare Bundestrainerin zu Wort. Sie sei weit davon entfernt, Tiere zu quälen, liess sie verlauten. «Ich liebe Tiere, ich liebe Pferde, genauso wie Annika. Wir verdreschen unsere Pferde nicht», sagt Raisner. Wer sich die Bilder und Aussagen vom Freitagabend ansieht, kann allerdings zu einem anderen Schluss kommen. Es geht in dieser hochemotionalisierten Debatte auch um die Frage, was Tieren zugemutet werden kann. So sprach die deutsche Reiterin Schleu von einem konsequenten Umgang mit dem ihr zugelosten Pferd, hielt aber fest: «Ich war zu keiner Zeit grob.»
Auch der Schweizer Delegation trugen die Sommerspiele in Tokio eine Debatte über den Umgang mit Tieren ein, nachdem sich Wallach Jet Set von Vielseitigkeitsreiter Robin Godel verletzt hatte und eingeschläfert werden musste. Selbst die Erläuterungen von Teamchef und Tierarzt Dominik Burger, wieso die Bänderverletzung von Jet Set irreparabel war, reichten nicht, um die Wogen in den sozialen Medien zu glätten. Im Unterschied zur Debatte im Modernen Fünfkampf war das Drama um Jet Set jedoch nicht auf ein Fehlverhalten des Reiters zurückzuführen.
Für den Modernen Fünfkampf gilt es derweil, im Hinblick auf Paris 2024 den Modus zu prüfen. Ist ein Zulosen eines Tieres zeitgemäss? Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, sagt dazu: «Es handelt sich um ein Tier aus Fleisch und Blut. 20 Minuten, um dann in den weltwichtigsten Wettbewerb zu gehen, sind im Grunde eine viel zu kurze Zeit.» Ein Ende der Diskussionen wird auch das nicht bringen, denn ein Streitpunkt bleibt: Was ist einem Tier zumutbar?