Harte Arbeit zahlt sich (fast) immer aus. Dies bewies Jérémy Desplanches am Freitag in Tokio mit dem Gewinn der Bronzemedaille – mehr als sieben Jahre, nachdem der Genfer noch als Teenager nach Nizza gezogen war. In der Hoffnung, ein Spitzenschwimmer zu werden.
Seine Fortschritte sind nicht spektakulär. Sondern die Früchte von fast täglicher harter Arbeit, von unzähligen Längen im Becken ab sieben Uhr morgens und ein zweites Mal auch am Nachmittag. Das an sechs von sieben Tage pro Woche. Von einem vergleichbar asketischen Leben, weil er seit langem einen olympischen Traum hegte.
«Ich werde weiter trainieren, so als wäre ich Letzter geworden. Es wäre auch dasselbe, wenn ich Erster geworden wäre. Ich habe wirklich Tokio im Fokus». Das waren die Worte von Desplanches wenige Stunden nach seinem Silber-Coup an der WM 2019 im südkoreanischen Gwangju.
Der Traum, der wahr wird
Seine Ambitionen hat das Aushängeschild von Swiss Aquatics nie versteckt. Nun kann der bald 27-Jährige stolz sein, sein oberstes Ziel erreicht zu haben. Ein Ziel, das am Anfang eher ein Traum war. Aber «ein Traum entwickelt sich. Anfänglich wollte ich bei den Spielen einfach dabei sein. Später setzte ich mir die Finalteilnahme zum Ziel. Doch an Olympischen Spielen ist alles möglich.» So äusserte sich Desplanches im Dezember 2018 und damit wenige Monate, nachdem er als erster männlicher Schwimmer aus der Schweiz EM-Gold gewonnen hatte.
Der Westschweizer ist ein Mann, der sein Wort hält. Er ist selbstbewusst, ohne sich seiner Sache zu sicher zu sein. Geerdet auch. Keinesfalls wird er abheben. Warum denn auch? Schwimmen bleibt in der Schweiz weiterhin eine Randsport, obwohl es die zweitwichtigste olympische Sommersportart ist. «Es wäre finanziell schwierig, wenn ich in der Schweiz wohnen und Miete bezahlen müsste», erzählte Desplanches im Frühling 2019.
Auf der richtigen Seite der fünf Hundertstel
Aber das spielt für ihn keine Rolle. Seine Triebfeder war schon immer der Drang, Leistung zu zeigen. Auch im Lockdown 2020 blieb seine Motivation – trotz zwei schwierigen Monaten ohne Training im Wasser in Nizza – ungebrochen. Wie so viele andere Sportlerinnen und Sportler musste er die Absage von wichtigen Anlässen und die Verschiebung der Sommerspiele um ein Jahr verkraften.
Dennoch verlor er Tokio als Ziel nie aus den Augen. Ab März 2020 wusste Desplanches, wann er in Höchstform sein musste: am 30. Juli 2021, um 11.16 Uhr in Japan. Dem ordnete er einfach alles unter, auch die EM im Mai in Budapest. Diese Besessenheit war es vielleicht, die über die Verteilung von Bronze und dem 4. Platz im Olympia-Final über 200 m Lagen entschied. Nur fünf Hundertstel betrug Desplanches' Vorsprung auf den japanischen Weltmeister Daiya Sato.
Desplanches begann im Frühling 2014 mit dem Training in Nizza. Die Spiele in Rio verliefen danach nicht gänzlich zu seiner Zufriedenheit. Ab 2017 jedoch begann der 190 cm grosse Musterathlet, die ersten Meilensteine zu setzen. In jenem Sommer qualifizierte er sich an der WM in Budapest für seinen ersten grossen Final. Das erste Mal durchbrach er dort - allerdings im Halbfinal - die Grenze von 1:57 Minuten auf den 200 m Lagen.
Platzierung wichtiger als Zeit
Der Genfer lernte dabei, dass es an Titelkämpfen nicht um sich selber und die Zeit, sondern um die Platzierung im Rennen geht. Schon im Jahr darauf wendete er das Gelernte in Perfektion an. In Glasgow verpasste er zwar seine Bestmarke. Doch die 1:57,04 reichten, um Europameister zu werden.
Seine adaptierte Strategie zeitigte ab da an jedem internationalen Titelkampf Erfolg. Egal ob an EM, WM oder Olympia – Desplanches stand in Tokio an seinem vierten Grossanlass hintereinander auf dem Podest. Eine Serie, die er weiterziehen möchte. Olympia 2024 in Paris ist für den «Wahl-Franzosen» mehr als einen Gedanken wert. Doch nach Tokio sei es zunächst wichtig, «einmal durchzuatmen und eine gewisse Zeit mit der Familie und Freunden zu geniessen».