Jung soll er sein, talentiert, offensiv ausgerichtet und begeisternd: Der FC St.Gallen unter der «heiligen Dreifaltigkeit», bestehend aus Präsident Matthias Hüppi, Sportchef Alain Sutter und Trainer Peter Zeidler. Die Espen wollen anders sein, als es sonst im modernen Clubfussball Usus geworden ist. Wo Ausgaben aus dem Ruder laufen, Trainer wie Spieler en masse verschlissen werden und das einzige Konzept die Konzeptlosigkeit ist.
In etwa so sagte es Präsident Hüppi, der mit gutem Beispiel voranging und den Mut zum Anderssein mit den langjährigen Verträgen für Sportchef Sutter und Trainer Zeidler unterstrich. Die Ostschweizer operieren mit dem kleinsten Budget der Super League. Spieler, die zum FC St.Gallen wechseln, entscheiden sich nicht für ein hohes Gehalt, sondern für eine Perspektive.
An und für sich ist dieses Konzept spannend, ja sogar erfrischend anders. Doch in einem Punkt unterscheiden sich die Espen nicht vom Rest der Welt, in der sie sich bewegen: Auch sie sind dem sportlichen Erfolg auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sportchef Alain Sutter fand nach der 1:3-Niederlage in Zürich deutliche Worte: «Die Rückrunde wird ganz schwierig, es geht um die Existenz des Vereins.»
Jung, talentiert, aber nicht erfolgreich
Auch in dieser Vorrunde stellte der FC St.Gallen meist die jüngste Mannschaft der Liga, beim 1:1 gegen Lugano betrug der Altersdurchschnitt der Startelf gerade mal 22,6 Jahre. Darüber hinaus ist die Zeidler-Truppe durchaus auch talentiert, sie kann begeistern und ist ohne Ausnahme offensiv ausgerichtet.
Nur erfolgreich ist sie nicht: Die zehn Niederlagen und 39 Gegentore sind Liga-Höchstwerte, die vier Punkte Vorsprung auf den Barrageplatz eine trügerische Sicherheit. «Wir machen zu viele Anfängerfehler. Es geht darum, dass man Spiele gewinnt und nicht etwa einen Schönheitspreis», resümierte Sutter am Samstagabend.
Worte, die man auch als Angriff auf das einleitend umschriebene Konzept interpretieren kann. Die jungen St.Galler agieren zuweilen mit einer Naivität, die Angst macht. Oder noch deutlicher ausgedrückt: Die Espen drohen mit wehenden Fahnen unterzugehen. Ein Abstieg in die Challenge League wäre für den FC St.Gallen nicht deshalb verheerend, weil er sich eingestehen müsste, mit seinem Konzept gescheitert zu sein. Sondern weil er es sich schlicht nicht leisten kann.
Die Null muss stehen
In der Rückrunde müssen also Punkte her. Und die holt man nur über die defensive Stabilität. Die abschliessende Niederlage bei Wintermeister Zürich war geradezu ein Sinnbild für die Mängel in diesem Bereich. So schossen die Espen zwar 23 Mal in Richtung gegnerisches Tor und hatten Pech mit einem Pfostenschuss, kassierten im Gegenzug aber bereits zum elften Mal mindestens zwei Gegentore.
Drei waren es am Ende, davon zwei vermeidbare: Das Foul vor dem Penalty von Boubacar Traoré war unnötig, ungestüm und naiv. Und das 1:3 war die wiederkehrende Erkenntnis, dass der FCSG auf seine eklatante Schwäche bei gegnerischen Standards noch immer keine Antwort gefunden hat.
Es liegt auf der Hand: Der FC St.Gallen muss zumindest einen Teil seiner offensiven DNA ablegen. Will man den Ligaerhalt schaffen, muss endlich auch mal die Null stehen.
Sutters Kampfansage
Mit Luzern und Lausanne-Sport liegen zum Jahresende noch zwei Mannschaften hinter dem FC St.Gallen. Bei den Waadtländern ist davon auszugehen, dass sie die Mittel haben, sich auf dem Transfermarkt punktuell zu verstärken, während Schlusslicht Luzern zumindest an der Seitenlinie schon reagiert zu haben scheint: Die Unterschrift von Trainer Mario Frick, der von Challenge-League-Leader Vaduz kommt, soll in den nächsten Tagen verkündet werden.
Ein Trainerwechsel wird in St.Gallen definitiv kein Thema sein. Doch Peter Zeidler wird sich in der Rückrunde daran messen lassen müssen, ob es ihm gelingt, sein Spielsystem den Gegebenheiten anzupassen. Grosse Investitionen auf dem Spielermarkt liegen hingegen nicht drin – sie wären zudem ein Verrat am Konzept der Espen.
Auf die Möglichkeiten angesprochen, das Worst-Case-Szenario abzuwenden, antwortete Sportchef Sutter mit einer Kampfansage: «Sie können davon ausgehen, dass wir das nicht einfach so hinnehmen, uns umdrehen und nach Hause gehen.» Es wird spannend sein, zu sehen, was dies konkret bedeutet. Lange wurde der FC St.Gallen dafür bewundert, eigene Wege zu gehen. Doch nun droht sein Experiment zu scheitern.