«Meine Mutter wollte mich eigentlich ins Ballett schicken. Doch ich mochte Kunstturnen viel mehr», erzählt Annice Lyn. Daher suchte sie nach einer Alternative und kam so schliesslich zum Eiskunstlaufen. «Ich habe bereits im Fernsehen immer sehr gerne diese Wettkämpfe mitverfolgt.»
Die 29-Jährige stammt aus Malaysia, aus einem Land in der Nähe des Äquators, in dem Wintersport der Bevölkerung komplett fremd ist. Nur gerade zwei Athleten haben sich für die Olympischen Winterspiele in Peking qualifiziert – eine Skifahrerin und ein Skifahrer. Im Eiskunstlauf schaffte bisher erst einmal ein malaysischer Athlet die Olympia-Qualifikation. Das war 2018 in Pyeongchang.
Training im Einkaufszentrum
«Für mich war immer klar: Als Eiskunstläuferin werde ich es nie an die Olympischen Spiele schaffen. In Malaysia gibt es keinen Support, keine Infrastruktur, keine Trainer. Es gibt dort nichts.» Damit sie trainieren konnten, hätten sie und ihre Kolleginnen jeweils auf die kleinen Eisfelder in den Einkaufszentren gemusst.
Bereits mit 19 Jahren trat Annice Lyn als Eiskunstläuferin zurück. Die beiden Knieverletzungen, die sie sich zugezogen hatte, waren zu gravierend. Doch dem Eiskunstlaufen blieb die 29-Jährige bis heute treu, einfach nicht mehr auf, sondern neben dem Eis. Und auch ihren Traum, einmal Olympische Spiele zu erleben, verfolgte sie konsequent weiter.
Durchs Studium zur Fotografie gefunden
Sie begann ein Architekturstudium und kam dadurch mit der Fotografie in Kontakt. Diese faszinierte sie so sehr, dass sie sich für ein Ausbildungsprogramm eines bekannten Kameraherstellers bewarb und prompt aufgenommen wurde. Heute kann Annice Lyn von der Fotografie leben. Im April 2021 war sie sogar für das Titelbild des berühmten «Time»-Magazins verantwortlich.
The essential purpose of photography is a form of communication that compels us to inform, reform, and have the ability...
Posted by Annice Lyn on Thursday, April 15, 2021
Dass sich die junge Frau derart der Fotografie verschrieben hat, hat einen einfach Grund: «Als Kind sparte ich mein gesamtes Geld, um mir nach den Eiskunstlauf-Wettkämpfen die Fotos meiner Übungen zu kaufen. Doch auf allen Fotos war jeweils nur der Moment kurz vor dem Absprung oder direkt nach der Landung zu sehen.» Vom für die Eiskunstläufer wichtigsten Moment – dem Moment in der Luft, ohne Eiskontakt – hätte es schlicht keine Fotos gegeben.
Fokus auf Eiskunstlauf
Dies will die 29-Jährige den heutigen Athleten ersparen. Deshalb setzt sie nicht nur in ihrer Heimat, sondern auch hier in Peking, hauptsächlich die Eiskunstläuferinnen in Szene. Dazu wird sie auch die beiden Skifahrer aus Malaysia eng begleiten. «Mein Ziel ist es, ihre grosse Leidenschaft zu zeigen und ihnen so eine Stimme zu geben.»
Denn Sport und Fotografie bringe die Leute zusammen. «Und das kann den Wintersport in Malaysia bekannter machen», betont die Fotografin. Vielleicht ja so bekannt, dass künftig mehr Athletinnen und Athleten aus Malaysia ihren Olympia-Traum auf der grossen Bühne ausleben können, und nicht wie Annice Lyn von der Tribüne aus.