Das Spiel heute vor 44 Jahren im Wankdorf stellte sich als nichts Besonderes heraus, aber Netzers Jahr als NLA-Fussballer ist unvergesslich.
Der FC Zürich war im Frühsommer 1976 gerade zum dritten Mal in Serie Meister geworden. Bei GC musste man also etwas unternehmen. Und was hätten die Grasshoppers unter Präsident Karl Oberholzer und dem neuen Trainer Helmuth Johannsen Besseres unternehmen können, als einen Spieler von Weltruf in den Hardturm zu holen?
Es war der Spielmacher, Stratege, «Blonde Engel mit grossen Füssen», «Rebell am Ball» und Frauen- und Autoliebhaber Günter Netzer. Alle kannten ihn von zehn Saisons bei Borussia Mönchengladbach, von drei Jahren bei Real Madrid und als Kopf der deutschen Europameister-Mannschaft 1972. Zwei Meistertitel und ein Cupsieg in Gladbach, je zwei Meistertitel und Cupsiege in Madrid waren eine Referenz, an der es nichts auszusetzen gab. Im Frühling 1973 verabschiedete er sich von den Gladbachern, indem er sich in der Verlängerung des Cupfinals gegen den Erzrivalen Köln unter den Augen von Trainer Hennes Weisweiler selber einwechselte und danach mit einem Schlenzer ins Lattenkreuz das Siegestor erzielte.
Netzer war auch Weltmeister 1974. Aber darauf war er nie stolz, denn er hatte an der WM in Deutschland nur etwa 20 Minuten – in einem Gruppenspiel – gespielt. Bundestrainer Helmut Schön hatte ihm den Kölner Wolfgang Overath als Spielgestalter vorgezogen.
In Madrid soll Netzer jährlich etwa eine Viertelmillion Franken verdient haben – was damals selbst im Fussballbusiness eine horrende Summe war. Er war 32 Jahre alt, als er nach Zürich kam. Wie lange er bei GC spielen würde, war nicht klar. Aber eine Saison sollte es auf jeden Fall sein.
Der Start in Zürich ab dem 1. Juli war für Günter Netzer hart. Nach dem Wegzug aus Madrid hatte er zwei Monate lang nicht trainiert, und Trainer Johannsen war nie dafür bekannt, dass er irgendeinen Spieler schonte. Tagelang hatte Netzer Muskelkater. Und mobil war er noch nicht, denn seinen Ferrari aus Deutschland bekam er erst Ende Juli. Auch das frühe Aufstehen vor Johannsens Antrittsverlesen behagte ihm zuerst nicht. «In Madrid haben wir nie vor zehn oder elf Uhr trainiert», sagte er in einem Interview in Zürich.
Netzer richtete es sich so kommod ein, wie es ihm möglich war. Er hätte in Zürich in die stattliche Wohnung ziehen sollen, in der vorher Ove Grahn, der grosse Schwede der Hoppers, gewohnt hatte. Aber er blieb die ganze Zeit in der Unterkunft, in der er abgestiegen war: im «Holiday Inn» in Regensdorf. Er schätzte die Vorzüge des Hotels sehr. «Was soll ich in einer so grossen Wohnung? Ich habe die letzten zwei Jahre in Madrid, als ich allein dort war, auch im Hotel gelebt. Das ist am einfachsten, dort habe ich alles.» Vermutlich auch einen Zimmerservice.
Wie gut es Helmuth Johannsen in der knapp bemessenen Zeit gelang, seinen Spieler von Weltruf zurück auf das beste Niveau zu führen, sollte man also am 14. August sehen, wenn es nach Einsätzen in Testspielen und im seinerzeitigen Ligacup ernst galt. Young Boys - Grasshoppers lautete die Affiche in der 1. Runde der Meisterschaft. Die Berner waren in jenen Jahren mässig erfolgreich und meistens weit entfernt von einem Meistertitel oder einem Cupsieg. Im Wankdorf waren fünfstellige Zuschauerzahlen die Ausnahme, nicht selten kamen weniger als 5000 Fans. Aber an jenem schönen Sommersamstag, als Günter Netzer die Aufwartung machte, freute sich der Kassier über das Eintrittsgeld, das 24'000 Zuschauer an den Kassenhäuschen entrichtet hatten.
Die Young Boys hatten auch einen Grossen in ihren Reihen. Nicht einen Weltstar à la Netzer, dafür aber den Hecht im Teich des Schweizer Fussballs: Karl Odermatt, der im Sommer 1975 in Basel fahnenflüchtig geworden war.
Nach dem Urteil der Fachzeitung «Sport» wurde es «ein sehenswertes, aber kein sehr grosses Spiel, ein Spiel mit deutlichen Zügen einer Abnützungsschlacht». Das einzige Tor erzielte drei Minuten nach der Pause Karl Odermatt, indem er, im Strafraum allein gelassen, eine Flanke ablenkte. Odermatt und Netzer spielten im Mittelfeld direkt gegeneinander. Der «Sport» berichtete und urteilte differenziert: «Odermatt gewann das Feldherrenduell gegen Netzer eindeutig. Netzer hatte gute erste 45 Minuten, Odermatt 90 bessere. Odermatt lief nicht nur doppelt so viel wie Netzer und verlor dabei zwei Kilo Gewicht, wie die Waage in der Kabine zeigte, sondern tat auch mehr für die Spielkonstruktion seiner Mannschaft.»
Und weiter: «Bei Netzer galt es zuerst einmal, den optischen ‹Rabatt› abzuziehen. Viele seiner zentimetergenauen Zuspiele, so schön sie auch anzusehen waren, erfolgten oft im eigenen Hinterland, wo sie den Bernern kaum Bauchweh machten.»
In der ganzen Saison mit Günter Netzer kamen die Hoppers nicht recht auf Touren. In der NLA wurden sie Vierte hinter dem FCZ, der immerhin nicht schon wieder Meister wurde, und im Cup schieden sie in den Achtelfinals in Sitten aus. In der Winterpause sprach Netzer davon, dass er vielleicht noch eine weitere Saison bei GC spielen würde, weil es ihm wirklich gut gefalle. Aber im Sommer 1977 beendete er nicht nur seine Zeit bei den Zürchern, sondern mit 33 Jahren auch seine Karriere als Fussballer.
In der Saison 1977/78, jetzt ohne den Star, waren die Grasshoppers dann wirklich erfolgreich, sehr sogar. Sie wurden Meister, verloren den Cupfinal gegen Servette erst in einem Wiederholungsspiel und stiessen im UEFA-Cup in die Halbfinals vor. In dieser Mannschaft reifte ein «Blonder Engel» heran, ein nachhaltiger: Heinz Hermann.