Die Rollen sind vor dem Final im kleinen Europacup klar verteilt. Alles scheint für Manchester United zu sprechen: die Finanzkraft, die internationale Ausstrahlung, das Renommee der Spieler und die Resultate in dieser Saison. Die Engländer erreichten in der Premier League den 2. Platz hinter Manchester City, aber vor dem anderen Champions-League-Finalisten Chelsea. Sie zählen in ihren Reihen Grössen wie der französische Weltmeister Paul Pogba, der portugiesische Topskorer Bruno Fernandes oder der englische Stürmer Marcus Rashford.
Manchester United ist bestens gerüstet, aber längst nicht ohne Druck und Sorgen vor dem Spiel in der polnischen Hafenstadt, das vor 9500 Zuschauern stattfinden wird. Die Fans haben nach den Plänen des Klubs, der europäischen Super League beizutreten, gegen die amerikanische Besitzer-Familie Glazer rebelliert, und sie sind ungeduldig. Der letzte Titel des englischen Rekordmeisters, der mit Trainer-Ikone Alex Ferguson reihenweise Trophäen gewann, liegt vier Jahre zurück: Unter José Mourinho triumphierte Manchester United 2017 im Ligacup und in der Europa League.
Mourinhos Nachfolger Ole Gunnar Solskjaer hat sich als Spieler mit dem Tor in der Nachspielzeit im Champions-League-Final 1999 gegen Bayern München unsterblich gemacht. Sechsmal war er zudem Meister mit Manchester United. Als Trainer wartet er noch auf seinen ersten bedeutenden Titel. Die Europa League und der 2. Platz in der Meisterschaft haben ihm Zeit verschafft. Aber in Zukunft wird er daran gemessen werden, wie sein Team in der Champions League abschneidet. Dort fühlt sich der Verein, der einer der fünf wertvollsten Europas ist, eigentlich daheim.
Emery, der Spezialist
Villarreal ist auch nach nationalem Massstab eine kleine Nummer. Auf den ersten nennenswerten Titel wartet der rund 60 Kilometer nördlich von Valencia beheimatete Klub fast 100 Jahre nach seiner Gründung weiterhin. In dieser Saison erreichte er in der Meisterschaft den 7. Platz. Nun bietet sich in Gdansk nicht nur die Möglichkeit, eine erste wichtige Trophäe zu gewinnen, sondern auch von der Conference League in die Champions League aufzusteigen. Anstatt im neu geschaffenen UEFA-Wettbewerb würde Villarreal im Fall eines Finalsieges in der kommenden Saison mit den Besten Europas mitspielen. In Euro heisst das: 15,64 Millionen Antrittsgeld anstatt 2,94.
Die Spanier sind sich ihrer Aussenseiterrolle sehr wohl bewusst und kokettierten in den letzten Tagen damit. Es sei nun ihr Moment, schwört das Team seine Anhänger ein. Bei näherem Hinsehen hat Villarreal auch auf dem Papier gute Argumente. Beginnend beim Trainer Unai Emery, der den FC Sevilla von 2014 bis 2016 in der Europa League zum Titel führte und 2019 mit Arsenal erst im Final scheiterte. Schon jetzt ist er zusammen mit Giovanni Trapattoni der erfolgreichste Coach des Wettbewerbs.
Routiniers und zwei Internationale
Emery kam mit seiner Mannschaft in der laufenden Europa-League-Saison in 14 Partien zu 12 Siegen und 2 Remis. Auch wenn im Halbfinal gegen Arsenal etwas Glück nötig war, erreichte Villarreal alles andere als zufällig als elfter spanischer Klub einen Europacup-Final. Nebst einigen auch international bekannten Routiniers wie Raul Albiol oder Paco Alcacer hat Villarreal auch zwei spanische EM-Teilnehmer: Verteidiger Pau Torres, an dem Manchester United interessiert sein soll, und Gerard Moreno, der für einige Experten der derzeit beste spanische Stürmer ist.
Gerard, der in den letzten beiden Saisons der treffsicherste einheimische Spieler der Liga war, ist mit 6 Toren und 5 Assists der beste Skorer der Europa League. Auch er könnte bald zu einem grösseren Klub wechseln. Deshalb spricht Torres von «einer historischen Chance», in dieser Zusammensetzung den grössten Erfolg der Vereinsgeschichte zu feiern.