Wie vor drei Jahren erreicht die Schweiz den EM-Viertelfinal. Und wie vor drei Jahren (Sieg im Penaltyschiessen gegen Frankreich) besiegt sie auf dem Weg dahin eine grosse Fussball-Nation. Und wie! Italien, vierfacher Welt- und zweifacher Europameister (zuletzt 2021), wurde in der ersten Halbzeit richtiggehend an die Wand gespielt.
Dass Remo Freuler den Treffer erzielte, der die Schweiz nach lange erfolglosem Anrennen in Führung brachte, war wohl so etwas wie Schicksal. Nicht nur, weil der 32-Jährige als «Nebenmann von Granit Xhaka» selten die Anerkennung erhält, die er eigentlich verdient. Vor allem aber, weil Freuler schwierige Tage hinter sich hatte.
Freuler auf Social Media im Vorfeld beleidigt
Eine eigentlich harmlose Aussage von ihm wurde in der italienischen Presse so präsentiert, dass sich Freuler in den Sozialen Medien plötzlich mit vielen Angriffen konfrontiert sah. Freuler hatte darauf hingewiesen, dass die Schweiz in der WM-Qualifikation vor den Italienern geblieben sei, die das Turnier danach verpassten. Ein Medium wollte dabei einen spöttischen Unterton erkannt haben, worauf Freuler und seine Familie unter der Gürtellinie beleidigt wurden. Der Zürcher, der mit einer kurzen Unterbrechung seit fast acht Jahren in Italien lebt, sah sich gezwungen, eine Entschuldigung zu veröffentlichen.
Dass er nun auch auf dem Platz eine Antwort geben konnte, tat Freuler sichtlich gut. Die Anspannung der vergangenen Tage entliess er in einem Sprint, einem Sprung über die Bande und einem Jubelschrei. So hat man den 71-fachen Nationalspieler (9 Tore) selten gesehen.
Vargas' Kunstschuss ins Glück
Die Führung hätte indes kaum verdienter sein können. Dass die Schweiz gegen Italien mal so dominieren würde, hätten sich wohl wenige vorstellen können. Tatsächlich aber kamen die Azzurri mit dem starken Pressing der Schweizer gar nicht klar. Oft waren es bloss zwei, drei Pässe, bis der Ballbesitz wieder an die Roten ging.
Einziger Makel war die Chancenverwertung respektive die letzten Pässe oder Flanken. Zu oft fehlten die zündenden Ideen. Und als Breel Embolo plötzlich allein auf Goalie Gianluigi Donnarumma ziehen konnte, hatte er wohl sogar zu viel Zeit und schoss zu unpräzise.
Wie man präzise abschliesst, zeigte dafür Ruben Vargas nach etwa einer halben Minute in der zweiten Halbzeit. Ruhig nahm er sich am linken Strafraumeck den Ball auf den rechten Fuss und schlenzte ihn in die entfernte Torecke. Und auch für den 25-jährigen Aussenläufer, der in diesem Turnier oft leidenschaftlich, aber glücklos kämpfte, war es eine Erlösung. Er war der insgesamt sechste Torschütze der Schweizer an diesem Turnier, doppelt hat noch niemand getroffen.
Und was danach passierte, ist schnell zusammengefasst: Souverän verteidigte die Schweiz die Führung über die Zeit. Italien kam kaum zu Chancen, zittern musste die Abwehr nur kurz, als ein Kopfball-Klärungsversuch von Fabian Schär am eigenen Pfosten landete.
Belohnung fürs Zusammenraufen
Für die Schweizer Nationalmannschaft ist der Erfolg gegen Italien ein Coup und der Lohn für eine insgesamt starke Turnierleistung - auf und neben dem Platz. Die Akteure, allen voran Trainer Yakin und Captain Xhaka, haben sich nach der schwachen EM-Qualifikation zusammengerauft und einen gemeinsamen Weg gefunden.
Die Mannschaft ist eine Einheit geworden und hat erkannt, dass sie mit der «Meisterachse» um Yann Sommer, Manuel Akanji und Granit Xhaka eine grosse Chance hat. Bereits in der Vorbereitung in St. Gallen haben die Spieler die hohe Intensität und Qualität der Trainings hervorgehoben. Nebenschauplätze wie der schlechte Trainingsplatz in Stuttgart oder die noch unklare Zukunft von Trainer Yakin wurden bewusst ausgeblendet, um sich auf das grosse Ziel zu konzentrieren.
Die offizielle Vorgabe war das Erreichen der K.-O.-Phase. Da dies aber in den letzten zehn Jahren immer gelungen war, war klar, dass erst der Einzug in den Viertelfinal die richtige Euphorie auslösen würde. Das haben die Schweizer nun geschafft! Sie bleiben noch mindestens eine Woche länger in Deutschland und treffen am kommenden Samstag (18.00 Uhr) in Düsseldorf auf England oder die Slowakei.
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(sda)