Die Emotionen zeigten sich erst am Ende des einseitigen, nicht einmal zweistündigen Finals. «Danke an diesen Court, danke an die Rod Laver Arena. Ich liebe euch immer mehr», brach es aus Novak Djokovic heraus. Der 18. Grand-Slam-Titel, der 9. in Melbourne, da könnte man meinen, das sei für einen wie den Giganten aus Serbien etwas ganz Gewöhnliches. Doch weit gefehlt: Der Erfolg hat für Djokovic eine riesige Bedeutung.
Zum einen marschiert er ungebremst weiter auf seiner Rekordjagd und liegt nun nur noch zwei Major-Siege hinter den Führenden Roger Federer und Rafael Nadal. Zum anderen waren die letzten Monate – mehrheitlich selbst verschuldet – wieder einmal nicht einfach für den polarisierenden Djokovic. Sein Coach, der ehemalige Wimbledonsieger Goran Ivanisevic, brachte es auf den Punkt. «Er brauchte diesen Sieg so dringend», erklärte der Kroate. «Im Himmel hat jemand gesehen, wie unfair Novak attackiert wurde. Nach dem US Open (Djokovic wurde disqualifiziert), dem schlechten Final am French Open und hier wieder in der Quarantäne. Sogar seine Verletzung wurde in Frage gestellt.»
Der Meister der Rod Laver Arena
Djokovic bestätigte nach dem Final, dass er sich im Drittrunden-Spiel gegen Taylor Fritz einen «Riss des schrägen Bauchmuskels» zugezogen hatte. «Da machte ich mir schon grosse Sorgen. Aber mein medizinisches Team leistete eine fantastische Arbeit und der Schmerz war erträglich.» Am Ende war er in Australien wieder wie fast immer nahezu unschlagbar. Während Rafael Nadal der Dominator von Paris (13 Titel) und Roger Federer der Hausherr in Wimbledon (8) sind, ist Djokovic mit neun Titeln der Meister der Rod Laver Arena.
Daniil Medwedew, dem nach zuletzt 20 Siegen in Folge viele eine gute Chance prognostiziert hatten, konnte nur zu Beginn einigermassen mithalten. Der 25-jährige Russe machte einen schnellen 0:3-Rückstand wett und schien danach gut im Spiel zu sein. Bei 5:6 leistete er sich aber ein schwaches Aufschlagspiel, und mehr brauchte Djokovic nicht, um die Oberhand zu gewinnen. Er retournierte wie gewohnt überragend und überliess dem 1,98 m grossen Russen so kaum freie Punkte. So war Medwedew gezwungen, (zu) grosse Risiken einzugehen, was zu vielen Fehlern führte. Er verfügt über ähnliche Stärken wie Djokovic, doch das Original war (einmal mehr) zu stark.
Die Cyborgs des Tennis
Im letzten Jahr hatte Djokovic noch fünf Sätze lang gegen Dominic Thiem kämpfen und leiden müssen, und auch Medwedew hatte in seinem ersten Grand-Slam-Final am US Open 2019 in fünf Sätzen gegen Rafael Nadal einen weit besseren Eindruck hinterlassen. Der Russe gab sich kämpferisch. «Ich werde auch aus dieser Niederlage lernen und das nächste Mal besser sein.» Er wusste nicht so recht, ob er einfach einen schlechten Tag hatte oder ob Djokovic einfach nicht zuliess, dass er besser spielte. Er fand bewundernde Worte für die Big 3: «Wir sprechen hier von den Cyborgs des Tennis in einem guten Sinn. Sie sind einfach unglaublich.»
Die Zahlen untermauern Medwedews Worte: Seit Anfang 2017 haben Federer, Nadal und Djokovic 15 von 16 Grand-Slam-Turnieren gewonnen (Nadal und Djokovic 10 der letzten 11), die einzige Ausnahme war Dominic Thiem beim US Open 2020, als Federer und Nadal fehlten und sich Djokovic durch seine Disqualifikation selber aus dem Rennen nahm. Die Wachablösung der nächsten Garde muss also weiter warten, auch wenn Djokovic feststellt: «Sind sind schon sehr nahe.»
Medwedew wird sich in der Weltrangliste immerhin auf Kosten von Thiem von Position 4 auf 3 verbessern, Djokovic bleibt natürlich unangefochten die Nummer 1. Schon länger steht fest, dass er am 8. März mit der 311. Woche an der Spitze Roger Federers einst für unschlagbar gehaltene Rekordmarke übertreffen wird. «Es ist eine Erleichterung, dieses Ziel erreicht zu haben», sagt der Serbe. «Nun kann ich meinen Fokus auf die Grand Slams richten.» Es muss für die Gegner wie eine Drohung wirken.
Erleichterung und Zufriedenheit herrschte zum Abschluss auch bei den Organisatoren von Tennis Australia. Sie brachten das Turnier unter schwierigsten Umständen inmitten einer Pandemie und mit strengen Quarantäne-Vorschriften gut über die Bühne. Und am Ende triumphierten mit Djokovic und Naomi Osaka doch die üblichen Verdächtigen, ein klares Zeichen, dass die Bedingungen fair waren.