Über Sportpolitik wollte Novak Djokovic nach dem 6:1, 6:4, 6:1-Startsieg über den Bosnier Damir Dzumhur eigentlich nicht reden. Dennoch erwähnte er zwei Beispiele, die aufzeigen, wie wenig die Spieler auf ihrer Tour einbezogen werden.
Letzten Donnerstag, als die Halbfinals des ersten Turniers in der New Yorker «Bubble» wegen des Protests von Naomi Osaka um einen Tag verlegt wurden, konsultierte niemand die Halbfinalisten. Djokovic erfuhr die Absage kurz vor dem geplanten Spielbeginn per WhatsApp. Und während der Partie gegen Dzumhur ärgerte sich Djokovic darüber, dass die Zeit zwischen zwei Ballwechseln im Vergleich zur Vorwoche reduziert worden ist. Der 25-Sekunden-Timer, der vorgibt, wann der nächste Ball im Spiel sein muss, wird am US Open viel früher gestartet als letzte Woche während des Testturniers. «Niemand machte uns Spieler darauf aufmerksam. Die Regeln werden geändert und niemand sagt etwas. Das ist weder fair noch akzeptabel.»
Bislang wirkte sich der grosse (und meist selber verursachte) Wirbel um seine Person nicht auf Djokovics Leistungen aus. Djokovic bringt die gleiche Intensität auf den Centre Court, egal ob 20'000 oder 200 zuschauen. Als das Echo seines Sieges-Schreis durchs fast leere Louis-Armstrong-Stadium hallte, wirkte das beängstigend.
Die Intensität sei das Wichtigste, so Djokovic, «denn sie zeigt, dass es mir nicht egal ist, wie ich spiele. Ich versuche immer, viel Energie auf den Platz zu bringen.»
Während der Coronavirus-Pandemie liessen es viele Leute, unter ihnen auch Tennis-Stars, ruhiger angehen. Neue Prioritäten und Ziele rückten in den Vordergrund. Aber nicht bei Djokovic! «Offensichtlich ist es nicht mehr so wie vor acht Monaten, wenn wir jetzt vor leeren Rängen spielen», sagte der Serbe nach dem Turniersieg von letzter Woche. «Aber aus der Perspektive von Roger (Federer), Rafa (Nadal), mir und unserem Rennen um Grand-Slam-Trophäen hat sich nicht viel geändert.»
In diesem Rennen führt Federer mit 20 Titeln vor Nadal (19) und Djokovic (17). Ende Januar holte Djokovic in Australien seinen 17. Major-Titel. Die Absage Wimbledons, wo er Titelverteidiger gewesen wäre, traf Djokovic härter als Federer (verletzt) oder Nadal (auf Rasen weniger effektiv). Dass seine Hauptrivalen das US Open nun aus der Distanz verfolgen, beschäftigt ihn überhaupt nicht.
Auch von seiner Siegesserie (24:0 Siege in dieser Saison) lässt er sich nicht ablenken, obwohl er zugibt, sich von Zeit zu Zeit zu fragen, ob es möglich sei, ein ganzes Jahr lang nie zu verlieren. Djokovic: «Ich denke, es ist möglich. Aber ich rechne nicht damit.»
Markant mehr als mit Statistiken beschäftigt sich Novak Djokovic mit seinem Image, das während der Coronavirus-Krise weiter gelitten hat. Zuerst sprach er sich öffentlich gegen Impfungen aus, später erlitt das (gutgemeinte) Projekt Adria-Tour Schiffbruch, dann exponierte er sich gegen die Mehrheit der Tennis-Professionals gegen den Neustart mit den Turnieren in den USA, und schliesslich überraschte er am letzten Wochenende mit der Ankündigung, eine neue Spielergewerkschaft zu gründen.
Dieser neuen Professional Tennis Players Association (ATPA) sind trotz Opposition von Federer und Nadal bereits mehr als 60 Spieler, also die Hälfte der in der New Yorker Bubble versammelten Einzelspieler, beigetreten.
Djokovic mag im Moment der beste Spieler der Tour sein. Doch populär ist er nicht. Daran leidet der Serbe. Nick Kyrgios sagte einst, Djokovic sei besessen davon, geliebt zu werden. Am Australian Open verteilte Djokovic den Journalisten jeweils Schokolade und wünschte ihnen so ein tolles Jahr. Trotz aller Bemühungen erreichte Djokovic aber nicht ansatzweise die Popularität, die Roger Federer oder Rafael Nadal auf der Tour geniessen. Die Aktivitäten der letzten Tage und Monate haben Djokovics Ansehen weiter geschadet.
Noch unklar ist, warum sich Djokovic das antut. Warum bezieht er in der wichtigsten Phase des Jahres Stellung gegen Federer und Nadal? Warum vergeudet er vor zwei Grand-Slam-Turnieren innerhalb von sieben Wochen Energie in eine so trockene Materie wie Sportpolitik? Zumal er im Frühling 2019, als er sich schon einmal sportpolitisch engagierte (für die Absetzung von Chris Kermode als ATP-Präsident), die Halbfinal-Niederlage am French Open gegen Dominic Thiem darauf zurückführte, dass er zu sehr vom Turnier abgelenkt worden sei.
Im Moment ist Djokovic sportlich vorzüglich unterwegs. Er eilt von Sieg zu Sieg und trifft am Mittwoch auf den Engländer Kyle Edmund. Die Tennis-Experten hat Djokovic längst überzeugt. Die Herzen der Fans hat er aber noch nicht gewonnen. Diese Aufgabe könnte ihn sogar länger beschäftigen als die Eroberung des Grand-Slam-Rekords.