Die Hoffnungen auf den nächsten Stan Wawrinka oder sogar Roger Federer kommen bei Nachwuchstalenten schnell - und in den allermeisten Fällen verfrüht. Im Fall von Dominic Stricker lassen die Zahlen aber tatsächlich Hoffnung zu. Bei seinem Sieg am Sonntag in Lugano war der Berner mit 18 Jahren und 7 Monaten nur fünf respektive drei Monate älter als Federer und Wawrinka bei deren ersten Challenger-Titeln. Und wie diese beiden weist er seit dem French Open im letzten Herbst einen Grand-Slam-Sieg bei den Junioren auf.
Dennoch steht der bodenständige Linkshänder aus Grosshöchstetten etwas auf die Bremse. «Es gibt noch überall Sachen zu verbessern», betont er nach seinem «wahrscheinlich grössten Erfolg». Aber er weiss auch: «Im Moment sind wir auf einem sehr guten Weg.» Als (noch) Nummer 874 der Welt schlug er in Lugano bei seinem erst zweiten Challenger-Turnier fünf gestandene Profis aus den Top 400 der Weltrangliste. Besonders eindrücklich dabei war der Dreisatzsieg im Halbfinal gegen den topgesetzten Yuichi Sugita. Als Nummer 109 der Welt verfügt der Japaner über die Erfahrung von 15 Grand-Slam-Turnieren.
Es ist diese Aneinanderreihung von Siegen, die auch Strickers Coach Sven Swinnen am meisten beeindruckt. «Ich bin froh, dass er sein Niveau über alle Matches halten konnte», sagt der Berner, der sich als Junior mit dem gleichaltrigen Roger Federer mass. «Das durfte man nicht gerade erwarten.» Denn bei den Profis ist die Luft bedeutend rauer als bei den Junioren. «Hier wird einem nichts geschenkt», stellt Stricker fest. «Jeder ist im Kopf stark, jeder kämpft um jeden Punkt.» Das gilt mittlerweile aber auch für ihn. So wehrte er in der 2. Runde zwei Matchbälle ab.
Aufschlag und Return als Stärke
Auf dem schnellen Hallenbelag in Lugano zahlte sich der Fokus der letzten Monate ein erstes Mal voll aus. «Wir haben vor allem am Aufschlag und am Return gearbeitet», verrät Swinnen. 65 Asse schlug er in seinen fünf Partien, 21 davon im Halbfinal gegen Sugita. Roger Federer soll ihm geraten haben, seinen Aufschlag zu verbessern. Gesagt, getan. «Der Service war schon vorher eine Stärke», sagt Swinnen. «Doch jetzt hat er nochmals Fortschritte gemacht.»
Daran hat Federer auch einen kleinen Anteil. Über den Jahreswechsel trainierte Stricker mehrere Wochen in Dubai mit dem 20-fachen Grand-Slam-Champion, nachdem er im November bereits bei den ATP Finals in London als Sparringpartner die grosse Tennisluft schnuppern durfte. «Beides waren coole Erfahrungen, die mir gezeigt haben, dass ich nicht sooo weit weg bin», schwärmt der junge Linkshänder, der gerade deshalb ein gern gesehener Trainingsgast ist. Sven Swinnen streicht noch einen zweiten wichtigen Punkt heraus: «Es war sehr eindrücklich zu sehen, wie diese trainieren, mit welcher Intensität und welchem Fokus. Und es war natürlich eine riesige Motivation. Roger nimmt sich auch viel Zeit und gibt den Jungen Tipps.»
Tipps, die Stricker noch weiter nach oben bringen sollen. Er wird in der Weltrangliste am nächsten Montag im Bereich um Platz 420 auftauchen. Nach einem Tag Pause spielt er ab Mittwoch bei einem M25-Turnier der ITF in Biel, danach gönnt er sich eine Woche Ferien. «Da kann ich etwas runterkommen, den Erfolg geniessen und bin danach wieder frisch für die Sandsaison.» Da bieten sich plötzlich ganz neue Perspektiven. Mit dem neuen Ranking könnte es am einen oder anderen Ort reichen, um die Qualifikation von Challenger-Turnieren zu spielen. Beim Heimspiel in Lugano profitierte er von einer Wildcard. Und wer weiss, vielleicht erhält er ja auch beim Geneva Open eine und gibt im Mai in Genf sein Debüt auf der grossen ATP Tour.