In Basel sprach Roger Federer davon, aus einer sehr guten Saison eine grossartige machen zu wollen. Dazu bedürfte es eines siebten Triumphs an den ATP Finals. Topfavorit ist der 38-jährige Basler trotz des äusserst überzeugenden Auftritts an den Swiss Indoors aber nicht. Diese Rolle gebührt wie fast immer in den letzten Jahren Novak Djokovic. Mit dem sechsten Sieg am Abschlussturnier der besten acht Spieler könnte der Serbe mit Rekordhalter Federer gleichziehen.
Djokovic ist auch schuld, dass 2019 nicht als grossartiger Jahrgang in Federers Annalen eingeht. Es waren die Momente, die den Schweizer Sportfans auch vier Monate später fast das Herz brechen. Nur 20 Kilometer südwestlich der O2 Arena wehrte der sechs Jahre jüngere Djokovic im Wimbledon-Final zwei Matchbälle ab und verhinderte damit den neunten Titel des Schweizers auf dem prestigeträchtigsten Tennisplatz der Welt.
Federers Bilanz in diesem Jahr liest sich sehr ähnlich wie im letzten: Nummer 3 der Welt, vier Turniersiege. Der grosse Unterschied: Er gewann heuer in Miami statt am Australian Open. Es fehlt also der Grand-Slam-Titel, den er in Wimbledon um ein paar Zentimeter verpasst hat. Der Sieg an den ATP Finals wäre da mehr als nur ein Trostpreis. Es würde auch bedeuten, dass Federer fast sicher Djokovic auf einer ganz grossen Bühne bezwingen würde.
Eine Hammergruppe
Ein Sieg gegen Djokovic ist dem Schweizer seit 2015 nicht mehr gelungen, und selbst diese Erinnerung ist bittersüss. Er gewann an den ATP Finals in London in der Vorrunde - und verlor ein paar Tage später den Final. Ein Szenario, das auch diesmal denkbar ist, denn die nach Björn Borg benannte Gruppe mit Federer, Djokovic, Dominic Thiem und Matteo Berrettini dürfte die klar stärkere sein. Oder wie es der Österreicher Thiem ausdrückte: «Das ist eine absolute Hammergruppe. Wenn man bei den elitären acht Spielern sagen kann, dass sich zwei noch ein bisserl herausheben, dann sind es definitiv Djokovic und Federer.»
Thiem ist am Sonntagabend (21.00 Uhr) Federers Auftaktgegner - und auch das ist eine Revanche. In diesem Jahr verlor der Schweizer beide Duelle. Vor allem der Final in Indian Wells war aufschlussreich, denn er zeigte die Fortschritte des Niederösterreichers, der bei drei Masters-Teilnahmen immer in der Vorrunde ausschied, auf Hartplätzen. Unter seinem neuen chilenischen Coach Nicolas Massu, ebenfalls ein Sandspezialist, der aber 2004 in Athen auf Hartplatz Olympiasieger wurde, ist Thiem wesentlich stärker einzuschätzen. Er gewann in diesem Herbst die Turniere in Peking und zuhause in Wien.
Djokovic, auf den Federer am Dienstag treffen würde, falls beide ihre Auftaktspiele gewinnen, überzeugte letzte Woche in Paris-Bercy trotz einer Erkältung auf der ganzen Linie. Er wartet allerdings wie der Basler bereits ein Weilchen auf einen Masters-Triumph (Federer seit 2011, Djokovic seit 2015). In den letzten beiden Jahren gab es durch Grigor Dimitrov und Alexander Zverev zwei Überraschungssieger, 2016 triumphierte Andy Murray. Dazu scheint der Italiener Matteo Berrettini, der die Federer-Gruppe komplettiert, kaum fähig.
Fragezeichen Nadal
Dass die nach Andre Agassi benannte Gruppe schwächer eingestuft wird, hat wesentlich mit dem Gesundheitsszustand von Rafael Nadal zu tun. Der Spanier leidet unter einer Bauchmuskelzerrung, die ihn in Paris-Bercy zum Forfait gezwungen hat und die noch nicht vollständig ausgeheilt ist. Die Nummer 1 ist aber nach London gereist und will es versuchen. Allerdings gelang es ihm auch in Bestverfassung noch nie, die ATP Finals zu gewinnen. Die Wahrscheinlichkeit ist deshalb hoch, dass er die Führung in der Weltrangliste wieder an Djokovic abgeben muss.
Nadals (mögliche) Probleme machen die Gruppe völlig offen und lassen den beiden Aufsteigern des Jahres, Daniil Medwedew und Stefanos Titsipas, alle Chancen. Zudem fühlt sich Alexander Zverev in der O2 Arena sehr wohl und darf auf eine Wiederholung seines Coups vom letzten Jahr, als er Federer und Djokovic schlug, hoffen. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre wäre ein unerwarteter Sieger so überraschend nicht mehr.