Am Donnerstagabend schwebte Roger Federer auf Wolke sieben. Strahlend stand er vor den TV-Kameras, hinter den Kulissen scherzte er ausgelassen mit seinem Team und sprach hinterher von einem «magischen Abend». Mit seiner Galavorstellung gegen den Topfavoriten Novak Djokovic hatte der 38-jährige Basler einmal mehr alle Zweifler Lügen gestraft, die ihm solch grosse Siege nicht mehr zugetraut hatten. Nicht zuletzt, nachdem er in seinen ersten beiden Gruppenspielen an den ATP Finals nicht besonders überzeugt hatte.
Selbst der Gegner war des Lobes voll. «Er hat heute alles richtig gemacht», zeigte sich Djokovic als fairer Verlierer. Und er betonte wie sehr es ihn motiviere, wenn er sehe wie gut Federer mit 38 Jahren noch sei. «Ich habe die grösste Bewunderung für ihn. Selbst für mich als einen seiner Rivalen ist er ein Vorbild. Seine Karriere und was er noch immer leistet, sind eine Inspiration für mich.»
Doch genau hier liegt die Gefahr für Federers weiteren Turnierverlauf. Zwar hat er einen Tag Pause vor seinem Halbfinal gegen Stefanos Tsitsipas oder Rafael Nadal, doch er muss nach dem emotionalen und euphorisierenden Triumph sehr schnell wieder in den Wettkampf-Modus zurückschalten. Wenn man gegen Djokovic oder Nadal gewinnt, ist dies normalerweise ein Final oder zumindest folgt danach nur noch der Final. Nun muss Federer aber heute Samstag um 15.00 Uhr für einen Halbfinal bereit sein, bei dem er gegen Stefanos Tsitsipas als klarer Favorit ins Spiel gehen wird.
Vergebene Chancen
Er kennt die Tücken dieser Situation. Speziell vor zwei Jahren schien alles für seinen siebten Masters-Titel aufgelegt, als neben ihm mit David Goffin, Grigor Dimitrov und Jack Sock drei absolute Aussenseiter - die Nummern 6 bis 8 des Turniers - im Halbfinal standen. Gegen keinen hatte Federer in der Vergangenheit verloren, doch dann wurde er von Goffin überrascht. Auch im letzten Jahr hatte Alexander Zverev kaum einer zugetraut, dass er Federer (und nachher im Final auch Djokovic) bezwingen würde.
«Ich hatte in beiden Spielen meine Chancen», denkt Federer an die beiden verlorenen Halbfinals zurück. «Und meine Gegner mussten sehr gut spielen, um mich zu schlagen.» Der Rekord-Champion, dessen letzter Masters-Titel aber acht Jahre zurückliegt, gibt zu, dass seine Vorbereitung auf ein Spiel gegen Djokovic oder Nadal anders ist als gegen «gewöhnliche» Gegner. «Das merkt man daran, wie viel Zeit ich und mein Team uns für die Vorbereitung nehmen, Vor dem Djokovic-Match war es über eine Stunde, sonst manchmal nicht mehr als fünf Minuten.»
Insofern wäre Nadal wahrscheinlich der einfachere Halbfinal-Gegner gewesen. Stattdessen ist es nun mit Tsitsipas einer der Aufsteiger des Jahres, dem die Bedingungen viel eher entgegen kommen als dem Welttanglistenersten aus Spanien, der trotz seines Sieges gegen den Griechen ausschied. «Er nimmt den Ball vor allem auf der Vorhand unglaublich früh, kann auch gut servieren», analysiert Federer. «Er nützt jede Gelegenheit, ans Netz zu kommen, so wie ich. Es ist sicher gut, dass ich ihn die letzten beiden Male in Dubai und Basel geschlagen habe und den Trend drehen konnte.» Anfang Jahr hatte Federer beim Hopman Cup und bei der Niederlage am Australian Open grösste Mühe, den Aufschlag des 17 Jahre jüngeren Griechen zu lesen.
Eines ist dem Schweizer besonders wichtig. «Ich muss einen klaren Kopf haben, Indoor darfst du dich nicht hinterfragen.» Wenn dann einer besser sei, könne er das gut akzeptieren. «Was ich nicht akzeptieren kann, ist, wenn ich vorsichtig spiele und verliere.» Und eines macht Federer auch klar: «Ich träume jetzt sicher noch nicht vom Titel.» Das wäre nach den letzten beiden Jahren auch nicht zu empfehlen.