Zuvor lief in Barcelona für die Schweiz vieles schief. Für Seriensieger Werner Günthör lag Gold bereit, aber er wurde nur Vierter. Die Schweiz holte keine Medaille - bis am letzten Wochenende Marc Rosset das Tennisturnier gewann.
Als Rosset am Samstag, 8. August 1992, nach dem verwandelten Matchball rücklings auf den Sand von Barcelona sank und sich mit den Händen vor Glück ins Gesicht fasste, atmete die Schweiz auf. Der damals 21-jährige Genfer hatte soeben den Einheimischen Jordi Arrese nach 5:03 Stunden mit 7:6, 6:4, 3:6, 4:6, 8:6 niedergerungen und der Schweiz doch noch eine Goldmedaille beschert.
Glück in der Startrunde
Rossets Durchmarsch und Durchbruch in Barcelona war eine Sensation. Mit Pete Sampras, Stefan Edberg, Boris Becker, Jim Courier, Michael Stich und Goran Ivanisevic kämpften erstmals die Stars um den Tennis-Olympiasieg, sie schieden aber alle früher oder später aus. Marc Rosset, damals die Nummer 44 der Welt, bekundete in der 1. Runde viel Glück, als sich der Marokkaner Karim Alami beim Stand von 1:1 Sätzen verletzte und trotz Breakvorsprung (2:1) aufgeben musste. Im Achtelfinal gegen Jim Courier - 1992 der unangefochtene Leader auf Sandplätzen - spielte sich Rosset beim 6:4, 6:2, 6:1-Sieg in einen Rausch. Gegen Emilio Sanchez (Viertelfinal) und Goran Ivanisevic (Halbfinal) profitierte der Genfer auch davon, dass die Gegner in den Runden zuvor mehr Energie verbraucht hatten.
Den ganz besonderen Glanz erhielt Rossets Goldmedaille von 1992 aber wegen all der Randgeschichten.
Sogar Federer inspiriert
Beim Blick zurück muss Marc Rosset immer wieder lächeln. «Heute schätze ich diese Goldmedaille viel mehr als damals», sagt er. «Es ist das Grösste, was ich je geschafft habe, nicht nur in meiner Karriere, sondern überhaupt im Leben. Noch heute gratulieren mir wildfremde Leute spontan zu dieser Goldmedaille. Und viele wissen noch genau, was sie an diesem Tag gemacht haben.»
Sogar dem grossen Roger Federer, der an diesem Tag seinen 11. Geburtstag feierte, erging es so. Federer habe ihm einst gesagt, sein Olympiasieg von 1992 sei für ihn eine grosse Inspiration gewesen. Rosset: «Ich muss wohl nicht näher beschreiben, wie stolz mich das macht!»
Fragwürdige Vorbereitung
Sportlich überraschte sich Rosset selber am meisten. Er trat völlig unvorbereitet an. In den Tagen vor Barcelona übte Rosset in Genf Wasserski, trank regelmässig über den Durst und reiste ohne Ambitionen nach Spanien. Rosset: «Ich war ja nicht dumm. Als ich die Auslosung studierte, sah ich dass ich im besten Fall die 3. Runde erreichen kann, dort auf Jim Courier treffen würde, der zuletzt zweimal Roland-Garros gewann und die Nummer 1 der Welt war. Also sagte ich den Freunden, ich bin wohl schnell wieder zurück in Genf. Erst nachdem ich Courier in drei Sätzen geschlagen hatte, begann ich zu träumen.»
Bei der Verwirklichung des Traums half Dano Halsall mit - ein Schwimmer, dessen Olympia-Einsatz über 50 m Crawl am ersten Tag dieser Sommerspiele mit 23,15 Sekunden etwas länger als erhofft gedauert hatte. Halsall blieb als Tourist bis zum letzten Tag im olympischen Dorf - etwas, was Swiss Olympic mittlerweile nicht mehr toleriert. Der acht Jahre ältere Halsall führte Rosset auf den «richtigen Weg».
Halsalls Einfluss
Zum Beispiel nervte sich Rosset anfänglich über die übertrieben militärische Organisation innerhalb der Schweizer Delegation. Er dürfe nur die offizielle Schweizer Olympia-Kleidung tragen, wurde Rosset von der Missionsleitung beschieden. Kurz darauf traf Rosset beim Essen Halsall, der in persönlichen Shorts umher schlurfte. Das führte zur unvergessenen Episode, die Rosset zum Teamarzt führte, wo er sich eine Schere lieh, mit der er aus seiner offiziellen Team-Hose zweckmässige Shorts bastelte.
Halsall war danach Ehrengast bei allen Partien Rossets, und zwischen den Partien sorgte der Schwimmer dafür, dass es Rosset im Village nicht langweilig wurde. Zwischen Halbfinal und Final besuchte das Duo Rosset/Halsall den Basketball-Halbfinal des amerikanischen «Dream Teams». Der Legende nach soll sich Rosset die Karten mit der Drohung erkämpft haben, er trete ansonsten nicht zum Final an, «denn zuvor gab es für uns Sportler höchstens Eintrittskarten für den Modernen Fünfkampf, Armbrustschiessen oder Frauen-Basketball».
Einleitung:
Titel, Tränen, Triumphe - normalerweise würden sich die besten Schweizer Sommersportler aktuell im Endspurt der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Tokio befinden. Wegen der Corona-Pandemie müssen sie sich jedoch ein Jahr gedulden. Keystone-SDA nutzt die Gelegenheit und blickt während sieben Wochen bis Ende Juli in einer Serie dreimal wöchentlich auf besondere Schweizer Olympia-Momente zurück. Im Fokus stehen Triumphe, aber auch bittere Niederlagen und spezielle Geschichten von Schweizer Sportgrössen.