«Was für ein Privileg», meinte ESPN-Kommentator und Tennislegende John McEnroe nach dem fast fünf-stündigen, epischen Duell zwischen Rafael Nadal und Daniil Medwedew. «Und das, nachdem wir schon in Wimbledon verwöhnt wurden.» Tatsächlich zeigten der 33-jährige Spanier und der zehn Jahre jüngere Russe vor über 23'000 Zuschauern einen elektrisierendes Kampf.
Nadal führte gegen den Aufsteiger des Sommers bereits mit 2:0 Sätzen und einem Break, ehe aus einem langweiligen ein aufregender Final wurde. Am Ende setzte sich aber dennoch der Favorit mit 7:5, 6:3, 5:7, 4:6, 6:4 durch. «Das war der Wahnsinn», meinte Nadal bei der Siegerehrung. «Es ist unglaublich, wie Daniil gekämpft und wieder den Rhythmus gewechselt hat», war er des Lobes voll. Dieser Sieg sei so wichtig für ihn. «Am Ende waren meine Nerven so angespannt, nachdem ich schon fast alles unter Kontrolle hatte.»
Medwedews Taktikänderung brachte fast Erfolg
Medwedew, die neue Nummer 4 der Welt, hatte in seinem ersten Grand-Slam-Final zu vorsichtig begonnen und konnte den favorisierten Nadal so nicht aus der Reserve locken. Erst ab dem dritten Satz begann der Viertelfinal-Bezwinger von Stan Wawrinka mehr Risiken einzugehen. Er rückte öfter ans Netz vor und kam nun auch zu vielen Winnern.
Vor allem aber hätte er Nadal am Ende doch fast mit dessen eigenen Waffen geschlagen. Denn obwohl Medwedew bis zum Final drei Stunden länger auf dem Platz gestanden hätte, stand er dem Spanier in nichts nach, wenn es darum ging, auch scheinbar unmögliche Bälle noch zu erlaufen und damit etwas Gescheites anzufangen.
Am Ende war es aber zu wenig zu spät. Nadal behielt die Ruhe, auch wenn er sich erstaunlich viele krasse Fehler leistete. Im fünften Satz zahlte sich die grössere Frische doch noch aus, obwohl auch er vom intensiven Kampf durchaus gezeichnet war. Die Geschichte des dritten Satzes wiederholte sich nicht. Nachdem Medwedew nach einer 40:0-Führung unnötig den Aufschlag zum 2:3 abgegeben hatte, wehrte er zwar noch zwei Matchbälle ab und verkürzte von 2:5 auf 4:5, die dritte Chance liess sich Nadal jedoch nicht entgehen.
Der Mallorquiner ist nach seinem 19. Grand-Slam-Titel, dem zweiten in diesem Jahr nach dem French Open, erstmals in seiner Karriere nur noch einen Sieg hinter Roger Federer. Und er hat auch beste Chancen, das Jahr zum fünften Mal als Nummer 1 zu beenden und in dieser Kategorie zu Novak Djokovic und Federer aufzuschliessen. Im Jahresranking weist Nadal nun fast 2000 Punkte Vorsprung auf Djokovic und gut 3700 auf Federer auf.
Medwedew und die Energie des Publikums
Aber auch Daniil Medwedew hinterliess in New York eine eindrückliche Visitenkarte. Nachdem er bereits den ganzen Sommer von Sieg zu Sieg geeilt war, überzeugte der 23-jährige Russe nun auch auf der grössten Bühne auf der ganzen Linie und qualifizierte sich als vierter Spieler nach Djokovic, Nadal und Federer für die ATP Finals. Noch keiner aus dem «Next-Gen»-Feld kam so nahe, die grossen drei zu entthronen. Es dürfte nicht die letzte Chance für Medwedew gewesen sein.
Nachdem er sich in den frühen Runden noch mit dem New Yorker Publikum angelegt hatte, gewann er nun viel Respekt - und sogar Liebe - zurück. Er gab diese mit einer Geste zum Herzen noch so gerne zurück. Bevor die Pokale übergeben wurden, liefen über die Gross-Leinwand des Arthur Ashe Stadium Bilder von Nadals 19 Grand-Slam-Titeln. «Was sie wohl gezeigt hätten, wenn ich gewonnen hätte», fragte er schmunzelnd. Wirklich daran geglaubt, hatte er im dritten Satz allerdings selber nicht mehr. «Ich habe mir schon überlegt, was ich an der Siegerehrung sagen würde», gab der gross gewachsene und - wenn er will - charmante und eloquente Russe zu. «Ich wollte aber wenigstens für euch kämpfen. Dank eurer Energie ist mir das gelungen:» Den Satz hatte er eine Woche zuvor ironisch gebraucht, diesmal kam er von Herzen. Und diese Energie hätte fast gereicht, um die ganz grosse Überraschung zu schaffen.