Abgeschottet in zwei Hotels und privaten Unterkünften auf Long Island treten je 128 Frauen und Männer in Flushing Meadows unter strengen Sicherheitsvorkehrungen zum erst zweiten Grand-Slam-Turnier des Jahres an. «Wir freuen uns, dass das Turnier das Risiko eingegangen ist», sagt Viktorija Golubic. Für die 27-jährige Zürcherin und viele ihrer Tour-Kolleginnen ist es ein freudiges Wiedersehen. Mit vielen auf der Tour pflegt sie ein gutes Verhältnis, den engsten Kontakt hat sie zu Jil Teichmann und Stefanie Vögele, ihren Kolleginnen aus dem Fed-Cup-Team. «Es ist wie an einem Klassentreffen.»
Am Montag war Golubic nach Übersee geflogen. Dem Transport ins Hotel folgte der erste Test auf das Coronavirus inklusive Quarantäne auf dem Zimmer, bis am folgenden Morgen das (negative) Ergebnis vorlag. Ein zweiter Test folgte, im Lauf ihres Aufenthalts werden die Spielerinnen alle vier Tage getestet. Es herrscht Maskenpflicht, an einem Tisch dürfen nur zwei Personen Platz nehmen, die Unterkünfte werden überwacht.
Die Massnahmen sind rigoros - mit gutem Grund, denn es steht viel auf dem Spiel. New York war einer der Hotspots der ersten Pandemie-Welle, und noch immer gibt es in vielen amerikanischen Bundesstaaten hohe Ansteckungszahlen. Und was passieren kann, wenn lasche oder gar keine Regeln herrschen, zeigte die von Novak Djokovic initiierte Adria-Tour, als sich der Serbe und einige Kollegen und Betreuer mit dem Virus infizierten.
Die Organisatoren taten viel, um das Leben der Sportler in der Blase so angenehm wie möglich zu gestalten. «Es ist alles sehr schön eingerichtet», sagt Golubic. Im Spieler-Hotel gibt es eine Open-Air-Lounge, ein Spielraum existiert ebenso wie ein Golf-Simulator. Auch auf der Anlage gibt es Möglichkeiten wie eine Minigolfanlage, um sich von der Arbeit auf dem Tennisplatz oder im Fitnesscenter abzulenken.
Viele Punkte und Dollars
Die Spielerinnen sind aber nicht zum Vergnügen nach New York gereist, schliesslich geht es für sie um Weltranglistenpunkte - und um viel Geld. Die Verlierer der 1. Runde kassieren 61'000 Dollar, ein Sieg garantiert bereits einen sechsstelligen Betrag. Nach Monaten mit kaum Verdienstmöglichkeiten ist das Preisgeld für Spielerinnen, die nicht in den Top 50 klassiert sind, überlebenswichtig.
Auch für Golubic waren diese Faktoren mit ein Grund, um die Reise nach Nordamerika anzutreten. Einen Verzicht zog sie im Gegensatz zu Belinda Bencic und einigen anderen Top-Spielerinnen nie in Erwägung. «Letztlich ist es eine Möglichkeit, dass wir unseren Beruf wieder ausüben können.» Und Grand Slams seien jene Turniere, an denen man als Spieler unbedingt dabei sein wolle.
Im Ranking bietet sich ihr zudem die Chance, von Position 123 nach oben zu klettern, nachdem ihr unmittelbar vor dem Unterbruch im März der Turniersieg der Challenger-Series in Indian Wells aus dem Vorjahr aus der Wertung gefallen war. «Ich hatte Pech, für mich persönlich kam der Unterbruch zu einem blöden Zeitpunkt.»
Das New Yorker Flair fehlt
Obwohl Golubic in Flushing Meadows noch keine Partie im Hauptfeld gewann, hat für sie das US Open eine besondere Bedeutung. 2013 hatte sie hier in der Qualifikation ihre erste Partie überhaupt an einem Grand-Slam-Turnier gespielt. «Ich bin immer gerne hier gewesen - und New York ist meine Lieblingsstadt.» Ihr bestes Tennis habe sie aber nicht immer spielen können, was auch an den nicht ganz einfachen Bedingungen liegt. «Die Bälle fliegen ziemlich - und sind recht schnell.» Hinzu kommt das emsige Treiben auf der Anlage, der Lärm, die vielen Menschen.
In diesem Jahr wird jedoch alles anders sein. Zuschauer sind keine zugelassen, zwar läuft noch die Endphase des nach New York verlegten Turniers von Cincinnati, die Qualifikation für das US Open fällt aber weg, was für Golubic einen doppelten Vorteil bringt. Für sie war relativ schnell klar, dass sie dadurch die Aufnahme ins Hauptfeld finden wird, zudem können im Vorfeld des Turniers nicht nur die Top-Spielerinnen auf den Match-Courts trainieren.
Viel des einzigartigen, für New York normalen Trubels fällt weg. «Am Ende des Tages bist du weniger müde als sonst», sagt Golubic. Für einmal locken auch nicht die Shops der 5th Avenue, die Theater am Broadway oder die Restaurants in Greenwich Village, da die Spieler nicht in Manhattan, sondern in Long Island untergebracht sind. Und das laute und bunte Treiben im Billie Jean King National Tennis Center fehlt. «Die vielen Leute auf der Anlage nehmen dir jeweils viel Energie», sagt Golubic, die es sich gewohnt ist, vor keinen oder wenigen Fans zu spielen. «Aber sie sind eben auch diejenigen, die dir diese auf dem Platz dann wiedergeben.»